Der Mann mit dem Fagott
es so. Auch der
Schwarzmarktwert der Uhr war schon viel Geld für den Kommissar. Warum sollte er mehr riskieren? Ja, so mußte es sein. Sonst hätte Heinrich doch längst etwas von Minister Dzhunkowskij gehört, oder zumindest Nachricht von seiner Familie erhalten. Bestimmt war dies der Preis für seine eigene Unverfrorenheit, seine verachtenswerte Haltung zu denken, alles auf dieser Welt, auch und vor allem die Freiheit, sei nur eine Frage des Preises. Das Leben hatte ihn dies gelehrt, doch vielleicht war jetzt die Zeit für eine andere Lektion gekommen. Vielleicht würde er jetzt zum ersten Mal erleben, daß Würde, Freiheit, Unversehrtheit nicht käuflich waren. Vielleicht würde er jetzt schmerzlich erkennen müssen, daß auch der Macht des Geldes Grenzen gesetzt waren. Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem er die Rechnung für all den Glanz, allen Erfolg, alle Macht und all die Arroganz seines Lebens würde bezahlen müssen.
Er sinkt auf den schmutzigen Zellenboden, ein großes, breitschultriges Häuflein Elend.
Wie lange er so gesessen hat, kann er später nicht mehr ermessen, als plötzlich polternd die Tür aufgeschlossen wird und der Wärter, ohne einzutreten, ruft: »Bockelmann! Mitkommen!«
»Besuch für Sie!« erklärt der Wärter knapp und läßt Heinrich vorausgehen, weist ihm mit kurzen Befehlen den Weg durch die langen Gänge, in denen ihre Schritte widerhallen.
Aus der Tiefe des Kerkers dumpfes Klagen, Geräusche von Blechkrügen, die gegen Wände und Türen geschlagen werden. Unheimliche Töne.
Ein anderer Wärter kommt ihnen mit einem Häftling in der grauen Sträflingsuniform und Fußketten entgegen. Ein junger Mann mit altem Gesicht. Man blickt sich in die Augen. Heinrich nimmt sich vor, was immer nun auch mit ihm geschehen werde, Haltung und das Bewußtsein zu bewahren, daß es immer noch hätte schlimmer kommen können.
»Stehenbleiben!« Der Wärter schließt die Tür zu Heinrichs Rechter auf, tritt nicht mit ein. Der Raum gleicht jenem, in dem er vor wenigen Tagen das Gespräch mit dem Kommissar geführt hatte, in Größe und Ausstattung. Drinnen empfängt ihn ein Mann, den Heinrich noch nie zuvor gesehen hat. Unsicher bleibt Heinrich stehen, läßt den Fremden auf sich zukommen, der ihm freundlich
und scheinbar wohlwollend, aber offenbar auch ein wenig erschreckt von Heinrichs derangiertem Äußeren die Hand entgegenstreckt.
»Guten Tag, Herr Bockelmann! Bitte, nehmen Sie doch Platz! Lassen Sie uns gleich zur Sache kommen. Sie wissen, warum ich hier bin?«
Heinrich zögert, ahnt und hofft es, wagt es aber nicht auszusprechen. Der Fremde bietet ihm eine Zigarette an, die Heinrich dankend annimmt, doch sein geschwächter Körper ist Derartiges nicht mehr gewöhnt und reagiert mit einem leichten Schwindelgefühl.
»Ich bin der erste Sekretär von Minister Wladimir Fjodorowitsch Dzhunkowskij und komme in dessen Auftrag.« Heinrich fällt eine zentnerschwere Last von der Seele.
»Sie müssen verstehen«, fährt der Fremde fort, »daß die aktuellen Ereignisse es Minister Dzhunkowskij verbieten, persönlich zu kommen.« Er zuckt mit den Schultern.
»Selbstverständlich.« Heinrich nickt. Eine bittere, aber unvermeidliche neue Erfahrung. Die unvermeidbare Konsequenz der neuen Zeit. Zeichen für Heinrichs gesellschaftlichen Fall, gewöhnungsbedürftig, aber damit kann er leben.
Der Sekretär öffnet eine Mappe mit einem Dossier. »Zunächst wird es Sie freuen zu hören, daß es Ihrer Familie gutgeht. Alle sind gesund und wohlauf, auch Ihr Haus ist von den Plünderungen der letzten Nächte verschont geblieben. Es wird rund um die Uhr bewacht. Nur Ihr Wagen wurde beschlagnahmt, für die Kriegsverwendung eingezogen, wie alle Privatwagen der Stadt. Damit werden Sie leben müssen.«
»Aber selbstverständlich.« Heinrich sieht den Sekretär dankbar und erwartungsvoll an.
»Darf ich offen sprechen?« Die Züge des Sekretärs sind ernst.
»Ich bitte darum.«
»Was der stellvertretende Innenminister nicht verstehen kann, ist, daß Ihr Ansuchen um russische Untertanenschaft noch nicht eingegangen ist. Wann und wo haben Sie den Antrag denn gestellt? Sie haben ihn doch gestellt!? Andernfalls kann es Sie Kopf und Kragen kosten. Ich hoffe, Sie verstehen mich richtig!« wendet er sich eindringlich an Heinrich.
»Durchaus. Ich muß aber gestehen, daß ich die Lage falsch eingeschätzt
und noch keine Gelegenheit gefunden habe, dieses Ansuchen einzureichen. Die Ereignisse haben sich
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