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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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Beruhigendes.
    Der Portier sieht Heinrich mit sichtbar wacherem, erstauntem Blick kopfschüttelnd an. »Verwalter Karlsen von der Prochrow-Zindelfabrik? Ja, lesen Sie denn keine Zeitung?«
    Heinrich verneint.
    »Ich war lange weg«, meint er nur knapp.
    »Sie müssen ja weit fortgewesen sein.« Der Portier spricht mit unüberhörbar deutschem Akzent. »Es ist alles so furchtbar.« Er schüttelt bedrückt den Kopf. »Jedenfalls: Verwalter Karlsen hat hoffentlich seinen Frieden gefunden.« Er bekreuzigt sich. »Vor zwei Tagen ist er ums Leben gekommen. In der Moskva ertrunken. Es war schrecklich. Russische Arbeiter haben ihn reingeschmissen und mit Steinen beworfen, bis er nicht mehr aufgetaucht ist.« Er bekreuzigt sich wieder, erwidert Heinrichs entsetzten Blick. »Und die Polizei hat zugeschaut. Und dann wurden in der Schrader-Fabrik vier russische Frauen umgebracht, weil man sie für Deutsche gehalten hat. Na ja, und seither … ach, darüber kann man gar nicht sprechen. Da kann man froh sein, wenn man so alt ist wie ich und niemand sich mehr für einen interessiert.« Sein Blick richtet sich weit in die Ferne. »Dann ist man auch als Deutscher hier noch relativ sicher. Aber sonst … Das nimmt kein gutes Ende.« Er sieht Heinrich traurig in die Augen, legt eine Hand auf seinen Arm, flüstert dann: »Wenn Sie meinen Rat wollen, gehen Sie so schnell wie möglich von hier weg. Dieses Land bringt Ihnen nur noch Unglück. Ich würde ja selbst weggehen, aber ich bin zu alt. Mich wird man hier begraben.« Er schiebt Heinrich den Schlüssel zu. »Warten Sie nicht zu lange«, dann beugt er sich über sein Gästebuch, in dem er einen fremden russischen Namen für Zimmer 21 vermerkt.
    Heinrich nimmt betroffen und erschöpft seinen Koffer und trägt ihn über die enge, knarrende Treppe in den zweiten Stock. Er kann kaum begreifen, was der Portier ihm da erzählt hat. Sein Freund Karlsen tot! Umgebracht von meuternden, aufgehetzten Arbeitern!
    Jemand ruft »Ruhe!« in den Gang. Heinrich bemüht sich, so leise wie möglich aufzutreten. Die Wände hier haben Ohren.

    Endlich in seinem Zimmer packt er nicht einmal den Koffer aus, legt nur sein Jackett ab, öffnet das Hemd, wäscht sich notdürftig mit dem abgestandenen Wasser, das in einem Krug bereitsteht. Sein abgemagertes, graues Ebenbild im gesprungenen Spiegel erschreckt ihn. Die vier Tage dauernde Reise von Wjatka hat an seinen Kräften gezehrt. Zwei Tage lang war man im Schnee festgesessen. Es hatte kein Ende nehmen wollen. Auch die letzten Monate hatten ihn gezeichnet.
    Erschöpft setzt er sich auf das schmale, durchgelegene Bett. Er legt sich zurück. Nur einen Moment ausruhen. Nachdenken …
    Er muß sich über sein Vorgehen klarwerden. Es sind wichtige Entscheidungen zu treffen. Seine Gedanken sind wie gelähmt. Das grausame Schicksal seines Freundes, die Einsamkeit, die Vorgänge in der Stadt. Er kann es nicht wirklich erfassen. Nicht in diesem Moment. Sein Blick schweift nervös in dem verlotterten, muffigen Zimmer umher. Die billige Tapete ist an vielen Stellen eingerissen, die feuchte Decke an den Ecken schwarz vom Schimmel. Er beobachtet eine Spinne, die ihr Netz auslegt. Dann fallen ihm die völlig übermüdeten Augen zu. Traumloser Schlaf, bis das Geräusch einer nebenan zuschlagenden Tür ihn aufschreckt.
    Er reibt sich angestrengt die Augen, braucht einige Sekunden, um sich zu erinnern, wo er ist. Ein Blick auf die Uhr. Tatsächlich schon Morgen. Schnell zieht er sich an, wäscht sich die Spuren der wenig erholsamen Nacht aus dem Gesicht. Ein Blick ins Treppenhaus. Er möchte niemandem begegnen.
    Der Portier ist hinter der Theke eingenickt. Heinrich räuspert sich. »Ja bitte? Ach, Sie sind’s! So früh schon wieder auf?«
    Heinrich nickt. »Ja. Darf ich Ihr Telefon benutzen?«
    Der Portier führt ihn ins Hinterzimmer, läßt ihn allein.
    Heinrich kurbelt, verlangt nach dem stellvertretenden Innenminister Dzhunkowskij. Die Nummer hat er noch im Kopf. Als hätte sich nichts geändert. Es dauert eine Weile, bis die Verbindung steht.
    »Ja?« Die Stimme klingt etwas nervös, sonst aber unverändert.
    »Hier spricht Heinrich Bockelmann. Sie erinnern sich an mich?«
    Ein knappes »Ja«, nichts weiter. Nicht unbedingt eine Aufforderung um weiterzusprechen, aber auch keine deutliche Abfuhr.
    »Sie wissen, was mit mir geschah?«

    »Natürlich. Aber …«, Dzhunkowskij wird ungeduldig. Heinrich spricht schnell weiter.
    »Ich rufe aus Moskau an, bin hier im Auftrag

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