Der Mann mit den hundert Namen
Lady.«
»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie aufpassen würden, daß er nicht handgreiflich gegen mich wird.«
11
Im regen Treiben der Touristen und Fischer am Kai lehnte Buchanan unbeachtet am Geländer und verfolgte die Barkasse, die durch das blaugrüne Wasser auf die weiße Jacht zuhielt. In Begleitung der drei Matrosen, die auf ihr Schiff zurückkehrten, befand sich eine rothaarige Frau, die angeregt mit den Männern plauderte.
Als sie an Bord gingen, nickte Buchanan und verlor scheinbar das Interesse. Er bummelte am Hafen entlang und behielt unauffällig die Jacht im Auge, ganz damit beschäftigt, die Stadt zu fotografieren, obwohl er in Wirklichkeit das Teleobjektiv von Hollys Kamera als Fernglas benutzte. Sie hatte zwar darauf bestanden, daß sie sehr gut auf sich selber aufpassen könne, und doch war nicht auszuschließen, daß sie dort drüben in Gefahr geriet. Sie hatten vereinbart, daß er auf dem schnellsten Weg zu ihr käme, wenn sie auf Deck erschien und aufgeregt wirkte.
Gegen fünf Uhr legte die Barkasse ab und brachte die drei Matrosen und Holly wieder an Land. Sie kletterte auf den Kai, küßte einen der Männer zum Abschied auf die Wange, fuhr dem nächsten durchs Haar und umarmte den dritten. Offensichtlich mit sich zufrieden, schlenderte sie in die Stadt.
Buchanan erwartete sie bereits in dem kleinen, schattigen Motelzimmer. »Wie ist es gelaufen?« fragte er besorgt, als sie eintrat.
Sie zog die Sandalen aus und setzte sich erschöpft aufs Bett. »Den Jungs ist es ganz schön schwergefallen, die Pfoten von mir zu lassen. Ich hatte keine Minute Ruhe. Mir ist zumute wie nach einem Marathonlauf.«
»Willst du einen Schluck Wasser? Ich habe etwas Obst gekauft, wie ist es damit?«
»Ja, Obst wäre schön. Eine Orange – großartig. Also, zur Jacht.
Die Besatzung besteht aus fünfzehn Mann, die sich beim Landgang abwechseln. Drummond ist in ihren Augen – ich zitiere einen der Matrosen – ein selbstherrliches Arschloch. Er flößt ihnen Angst ein – wenn er sich an Bord befindet. Aber sobald die Katze fort ist, tanzen die Mäuse und bringen zuweilen Frauen an Bord.«
Buchanan legte Bleistift und Notizblock auf den Tisch. »Zeichne mir mal einen Lageplan der einzelnen Räume und Decks auf. Ich muß eine genaue Vorstellung haben, jede Einzelheit, die dir einfällt. Du bist sicher müde, Holly. Tut mir leid, das wird eine Weile dauern.«
12
In Key West gab es eine Menge Geschäfte für Tauchsportartikel, so daß Buchanan sich ohne Mühe einen Tauchanzug ausleihen konnte. Da das Wasser warm war, hätte er eigentlich keine isolierende Hülle benötigt, doch er wollte die heilende Stichwunde schützen und verhindern, daß Schorfteile ins Wasser gelangten und Haie und Barrakudas anlockten.
Die Kopfschmerzen plagten ihn nach wie vor, es war ein Gefühl, als bestünden seine Nerven aus ledernen, bis zum Zerreißen gespannten Strängen. Doch Schmerzen durften ihn nicht beunruhigen, er mußte weiterschwimmen durch die Nacht, zusätzlich getarnt durch die schwarze Ausrüstung. Die Arme locker an den Seiten, bewegte er die in Flossen steckenden Füße nur leicht, geräuschlos und ohne weiße Schaumkronen entstehen zu lassen. Das Gesicht hielt er, obwohl er es vorher geschwärzt hatte, so lange wie möglich unter Wasser. Die Sterne leuchteten, die Mondsichel stieg langsam auf, als er sich der Jacht näherte.
Endlich packte er die Ankerkette und spähte nach oben. Weder Schritte noch Stimmen. Er nahm Maske und Schwimmflossen ab, band sie an die Kette und begann hinaufzuklettern. Langsam, lautlos zog er sich hoch bis zum Klüsengatt, das zum Hineinkriechen zu eng war. Doch boten Klüse und die wuchtige Kette genügend Spalten, in die er sich mit den geflochtenen Gummischuhen krallen konnte, bis er sich, um Gleichgewicht ringend, am Rand des Bugs festklammerte. Er schwang sich hoch, hielt vergebens Ausschau nach Matrosen oder elektronischen Überwachungsinstallationen und glitt über die Reling auf das schwach erleuchtete Deck.
Als er deckungsuchend unter eine Außentreppe huschte, merkte er, daß er nasse Spuren hinterlassen hatte. Über ihm waren einige Fenster erleuchtet, auch in den Treppenaufgängen und Laufgängen brannten Lampen, doch nur schwach, so daß sich genügend dunkle Ecken zum Verstecken fanden. Er schlich auf rutschfesten Sohlen weiter bis zu einem Korridor, wo er eine steile Treppe erklomm.
Er folgte Hollys exaktem Lageplan. Angespannt lauschend, erreichte er das
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