Der Mann mit den hundert Namen
nicht her. Sie können nicht gleichzeitig für mich und für sie sorgen …«
Das Läuten des Telefons schien besonders laut.
Doyle zuckte zusammen.
Buchanan bedeutete ihm, den Hörer abzunehmen. »Das ist Ihr Haus. Wenn ich mich melde, fällt das auf. Wir müssen so tun, als sei alles normal. Schnell, bevor Cindy …«
Doyle griff zum Hörer. »Hallo? … Wer spricht dort? Was wollen Sie von ihm? … Hören Sie, Sie Mistkerl! Meine Frau hätte am Telefon sein können. Wenn Sie sie belästigen, dann …«
Die Situation ist nicht mehr zu retten, dachte Buchanan. Wenn jetzt einer eine Tonbandaufnahme unserer Gespräche hätte, müßte er sich fragen, ob ich tatsächlich der Mann bin, der ich zu sein vorgebe. Er winkte energisch ab und riß Doyle den Hörer aus der Hand. »Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen nicht mehr anrufen.«
»Crawford, Ihr Kumpel wirkt ziemlich gestreßt«, sagte Bailey. »Wahrscheinlich, weil seine Frau krank ist, stimmt’s? Bedauerlich. So ein gutaussehendes Mädchen.«
O ja, du hast deine Hausaufgaben gemacht, dachte Buchanan. Du hast mich beschattet. Du bist gleich nach mir nach Miami geflogen.
Du bist nach Fort Lauderdale gefahren und hast rausgekriegt, wo ich angeblich arbeite. Du hast ermittelt, wo mein angeblicher Boß wohnt. Du hast gewartet, bis ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Ging ich nicht arbeiten, dann wäre erwiesen, daß ich ein anderer bin. Und dann konntest du deine Schau abziehen.
»Hunderttausend Dollar. Morgen, Crawford. Wenn Sie denken, ich mache Spaß, werden Sie sich wundern. Ich hetze Ihnen todsicher die Bullen auf den Hals.«
Nachdenklich legte Buchanan den Hörer auf.
»Jack, Liebling?«
Die beiden wirbelten herum.
Cindy stand schwankend in der Küchentür und hielt sich am Pfosten fest. Ihre Haut war blaß. Das schwarz-rote Kopftuch war verrutscht und ließ einen Teil des kahlen Kopfes sehen. »Wer war das? Wen habt ihr so angebrüllt?«
Aus Doyles Kehle kam ein erstickter Laut. Er ging auf Cindy zu und umarmte sie.
11
Der Intracoastal Waterway reicht von Trenton, New Jersey, im Osten der USA bis Brownsville, Texas. Diese Binnenwasserstraße, die aus miteinander verbundenen Flüssen, Kanälen, Lagunen, Buchten und Meerengen besteht, verläuft parallel zum Atlantischen Ozean. Im Norden wird sie meist von Handelsschiffen benutzt, doch im Süden, besonders in Florida, beherrschen Jachten den Wasserweg, zu dessen attraktivsten Teilen die Gegend um Fort Lauderdale gehört.
Um acht Uhr morgens parkte Buchanan Doyles Lieferwagen neben Bon Voyage, Inc. und schloß das Gebäude auf. Am Abend zuvor war er zu einem Einkaufszentrum gefahren, wo er von einem Münzfernsprecher mit seinen Leitoffizieren Kontakt aufnahm. Jetzt trug er einige Kisten mit elektronischem Zubehör zu Doyles Motorboot, das am Kai hinter dem Büro vertäut lag. Buchanans verletzte Schulter pochte, und ihm dröhnte der Kopf vor Anstrengung. Endlich war alles sicher verstaut, und nachdem er das Gebäude abgeschlossen hatte, machte er los und steuerte das Boot aus dem Kanal auf die weite Fläche des Intracoastal Waterway.
Restaurants, Hotels und Apartmenthäuser flankierten die Wasserstraße zu beiden Seiten und natürlich Kais und Boote.
Er folgte Doyles Hinweisen und hielt sich südlich. Er tat, als genieße er die Brise und den erfrischenden Salzgeruch des Wassers. Nicht ein einziges Mal blickte er sich nach möglichen Verfolgern um. Es war unbedingt notwendig, daß er den Harmlosen und Naiven spielte und sich von Baileys Drohungen nicht beeindruckt zeigte. Bailey hatte noch zweimal angerufen, um Mitternacht und um zwei Uhr morgens; jedesmal war Cindy aufgewacht. Wütend hatte Doyle das Telefon abgestellt. Je öfter Buchanan darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm klar, daß Bailey nicht sein einziges Problem war.
Immer weiter gen Süden fahrend, passierte Buchanan weitere Brücken, bewunderte scheinbar andere Gebäude und Boote, bis er schließlich, nach Osten abdrehend, auf eine exklusive Kaianlage zuhielt, die als Pier 66 bezeichnet wurde. Es dauerte eine Weile, bevor er die richtige Stelle fand und schließlich Bord an Bord mit einer dreißig Meter langen, aus dunklem Holz gefertigten Jacht lag, auf der sich zwei Männer und eine Frau aus ihren Liegestühlen erhoben und vom Heck auf ihn hinuntersahen. Einer der Männer war groß und schlank, mit harten Zügen und kurzem angegrauten Haar. Er war in den Fünfzigern, trug eine weite Sporthose und ein monogrammbesticktes
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