Der Mann mit den hundert Namen
Schürze gegangen war, beugte sich Juana über den Tisch. »Was redest du da?« fragte sie mit leiser, bebender Stimme.
»… daß du mir immer nahe sein wirst. Ich werde mich stets mit dir verbunden fühlen. Wenn du jemals Hilfe brauchst, wenn ich je etwas für dich tun kann …«
»Moment mal. Das hört sich ja wie ein Abschied an.«
»… werde ich da sein. Jederzeit. Überall. Du brauchst bloß darum zu bitten. Es gibt nichts, was ich nicht für dich tun würde.«
»Du Scheißkerl. Das ist nicht fair. Ich bin gut genug, mein Leben an deiner Seite zu riskieren. Ich bin gut genug, um als Tarnung herzuhalten. Aber nicht gut genug, dein Privatleben mit mir zu teilen.«
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Woran liegt es dann? Du liebst mich und gibst mir den Laufpaß?«
»Ich wollte mich nicht verlieben. Ich …«
»Es gibt nicht viele Gründe für einen Mann, sich von einer Frau zu trennen, die er angeblich liebt. Im Augenblick fällt mir nur einer ein: Sie ist nicht gut genug für ihn.«
»Hör mal zu …«
»… und der Grund ist, daß ich Lateinamerikanerin bin.«
»Nein. Überhaupt nicht. Das ist Wahnsinn. Bitte. Hör mal zu.«
»Hör du mir mal zu. Ich könnte ein Glücksfall für dich sein. Gib mich nicht auf.«
»Ich muß …«
»Du mußt? Warum? Wegen der Leute, für die wir arbeiten? Zum Teufel mit ihnen. Sie wollen, daß ich weitermache. Aber das habe ich nicht vor.«
»Mit ihnen hat das nichts zu tun«, sagte Buchanan. »Nur mit mir. Mit dem, was ich tue. Wir könnten nie eine Beziehung miteinander haben, weil ich bald nicht mehr derselbe bin. Ich werde bald ein Fremder für dich sein.«
»Wie bitte?«
»Ein anderer sein.«
Sie starrte ihn an, weil sie auf einmal begriff, was er da sagte. »Du ziehst deine Arbeit …«
»Meine Arbeit ist alles, was ich habe.«
»Nein, du könntest mich haben.«
Buchanan musterte sie, wandte den Blick ab und sah sie wieder an. Er biß sich auf die Lippe und schüttelte bedächtig den Kopf. »Du kennst mich nicht. Du kennst mich nur in meiner Rolle.«
Sie war entsetzt.
»Ich werde immer dein Freund sein«, sagte Buchanan. »Denk daran. Ich schwöre es dir. Wenn du jemals Hilfe brauchst, wenn du mal in der Patsche sitzt, brauchst du dich bloß zu melden, und egal, wie lange es her ist, egal, wie weit weg ich bin, ich werde …«
Juana war aufgesprungen, ihr Stuhl scharrte laut über den harten Fußboden. Andere Gäste waren aufmerksam geworden.
»Wenn ich dich mal benötige, schreibe ich dir eine verdammte Karte.«
Die Tränen zurückhaltend, war sie aus dem Restaurant gerannt.
Sie hatten nicht wieder miteinander gesprochen. Als er in ihre gemeinsame Wohnung zurückkehrte, hatte sie bereits gepackt und war gegangen. Wie ausgehöhlt, hatte er die ganze Nacht nicht geschlafen. Er saß im Dunkeln auf dem Bett, das sie geteilt hatten, und starrte auf die gegenüberliegende Wand.
3
Schon wieder, dachte Buchanan. Er war in seinen katatonischen Zustand verfallen und hatte nun das Gefühl, von weither zurückzukommen. Im Abteil war es dunkel. Jenseits des Fensters wurde die Nacht nur von vereinzelten Lichtern aus Farmhäusern durchbohrt.
Er blickte auf das Leuchtzifferblatt von Peter Langs Pilotenuhr und stellte verwirrt fest, daß es bereits acht Minuten nach zehn war. Er hatte Washington kurz vor zwölf Uhr mittags verlassen, der Zug hatte also Virginia längst durchquert und befand sich bereits mitten in North Carolina, wahrscheinlich sogar schon in Georgia. Wo ist die Zeit geblieben, fragte sich Buchanan erschrocken. Was ist mit mir los?
Mit schmerzendem Kopf erhob er sich, machte Licht und schloß rasch die Vorhänge, um nicht mit seinem Spiegelbild konfrontiert zu sein. Das hagere Gesicht kam ihm unbekannt vor. Er öffnete seine Reisetasche, nahm drei Aspirintabletten aus dem Kulturbeutel und schluckte sie mit Wasser, das er am winzigen Waschbecken der eingebauten Toilette holte.
Er versuchte, sich ganz auf die Gegenwart zu konzentrieren, denn er mußte in seine alte Rolle schlüpfen, mußte wieder Peter Lang werden und als dieser voll handlungsfähig sein. Er durfte nicht weiter in die Luft starren. Denn schließlich dienten die Reise nach New Orleans und die Enträtselung von Juanas Postkarte nur dazu, sich selber eine neue Aufgabe zu stellen und die Orientierung wiederzufinden.
Juana! Er mußte sich in die Gestalt des Peter Lang einfühlen und auf das Wiedersehen mit seiner »Ex-Ehefrau« vorbereiten. Sie war jetzt wohl einunddreißig Jahre
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