Der Mann mit der dunklen Maske
protestierte Tristan.
„Es ist jedenfalls schon viel königliches Blut auf dem Schafott vergossen worden“, wandte Evelyn ein.
„Das ist doch Blödsinn! Wir leben in einer großartigen Zeit, unter der besten konstitutionellen Monarchie, die es jemals gegeben hat“, stellte Lord Wimbly fest. „Wirklich, bei unserer Zusammenkunft heute Abend, wie ernst sie auch immer sein mag, müssen wir unbedingt Ihre Verlobung mit unserer lieben Camille feiern.“
„Zusammenkunft? Heute Abend?“ fragte Camille erstaunt.
„Ja.“ Brians Augen blieben hart. Offenbar hatte er von ihren gestrigen Eskapaden erfahren und war sowohl wütend als auch misstrauisch. Aber wo war
er
den ganzen Tag gewesen?
„Wir werden heute gemeinsam zu Abend essen“, sagte Brian. „Glücklicherweise geht es Alex so gut, dass auch er teilnehmen kann. Sir John wird da sein, Lord Wimbly, ein französischer Gesandter, ein gewisser Monsieur Lacroisse, ein paar Herren vom Kuratorium mit ihren Frauen. Natürlich ist auch Aubrey eingeladen, genauso wie Sir Hunter. Nach den Vorfällen auf dem Ball sollten wir uns noch einmal neu zusammenfinden.“
Sie starrte ihn an. Neu zusammenfinden, in der Tat.
„Eier, meine Liebe?“ fragte Evelyn.
„Nein, danke, ich fürchte, ich bin heute Morgen nicht besonders hungrig.“
„Heute wird hier viel los sein, es ist eine Menge zu tun. Das Essen wird geliefert“, sagte Evelyn. Sie wirkte aufgeregt und erfreut und fügte zögernd hinzu: „Wie in alten Zeiten.“
„Ja, ich verschwinde dann besser“, erklärte Lord Wimbly. Auch er klang zufrieden. „Ich habe noch einiges zu erledigen, bevor ich zurückkomme. Brian, ich muss sagen, ich bin hocherfreut. Ich war sehr besorgt, als ich mich heute Morgen habe hier herausfahren lassen. Aber Ihr Einfall, bei einem ruhigen Dinner über die Zukunft zu sprechen, ist brillant, einfach brillant.“
„Ich freue mich, dass es Ihre Zustimmung findet“, entgegnete Brian und erhob sich.
„Bis heute Abend“, sagte Lord Wimbly.
„Ich glaube, ich ziehe mich zurück und ruhe mich noch etwas aus, wenn ich heute Abend ein strahlender Gast sein soll“, erklärte Alex.
„Ich werde mich natürlich zu Ihnen setzen“, versprach Camille.
„Nein“, sagte Brian scharf. „Tristan und Ralph tragen gerade ein Schachturnier aus. Sie werden Alex Gesellschaft leisten und sich um alles kümmern, was er braucht. Ich möchte selbst ein Wort mit dir wechseln, meine Liebe.“
Camille nickte freundlich, obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug.
„Oje, da sind noch so viele Eier übrig”, murmelte Evelyn. „Ach, sie sind bestimmt gut für Ajax’ Fell. Ajax, komm mal mit.“
Ajax, der zu Brians Füßen geschlafen hatte, erhob sich. Geh nicht mit ihr, wollte Camille rufen. Aber sie blieb still. Der große Wolfshund wedelte mit dem Schwanz, offensichtlich begriff er, dass ihm ein leckeres Frühstück bevorstand.
„Camille, wenn du so freundlich wärst, meine Liebe?“ sagte Brian.
Sie zwang sich zu einem Lächeln, ging vor ihm her aus dem Wintergarten und den Korridor hinunter zu seinem Privatgemach. Kaum hatten sie das Zimmer betreten, schloss er die Tür und lehnte sich dagegen. Seine Augen unter der Maske waren eiskalt.
„Wo in Gottes Namen warst du gestern?“ wollte er wissen.
„Wo warst
du
?“
„Ich war geschäftlich unterwegs. Wo warst du?“
„Ich hatte etwas zu erledigen.“
„Eine Beichte?“
„Ich habe eine Menge zu beichten“, murmelte sie und wich beharrlich seinem Blick aus.
„Betrachte mich als deinen Beichtvater. Wo bist du gewesen?“
„Ich bin ins Museum gefahren“, sagte sie.
„Wie?“
Sie holte tief Luft und wiederholte: „Ich bin ins Museum gefahren.“
„Bist du wahnsinnig?“
„Ich arbeite da.“
„Dort ist am Abend zuvor eine Kobra ausgebrochen. Warum hast du das getan? Offensichtlich war dir bewusst, dass es gefährlich ist, sonst hättest du Corwin kaum angelogen. Und er, der treue und zuverlässige Kerl, der er ist, hat Stunden vor einer Kirche gesessen und auf dich gewartet.“
„Ich bin ja auch in der Kirche gewesen“, murmelte sie.
„Warum bist du ins Museum gegangen?“
„Um die Kobra zu finden – die goldene Kobra. Das Stück, das für jeden von äußerstem Interesse zu sein scheint.“
„Du wirst nicht mehr ins Museum gehen“, sagte er wütend.
„Ich gehe, wohin ich will!“ erklärte sie ihm. „Ich bin nicht deine Gefangene. Und Tristan kannst du hier auch nicht länger festhalten“, verkündete sie,
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