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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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gewesen, wodurch Hans eigentlich Gerda anziehe. Sie saß blaß dabei, ohne an dem Gespräch tätigen Anteil zu nehmen. Hans Sepp hatte eine große Theorie der Liebe, und wahrscheinlich fand sie darin den tieferen Sinn ihrer selbst. Ulrich lenkte nun das Gespräch weiter, indem er behauptete – mit allerhand Verwahrungen dagegen, daß man sich überhaupt auf derlei Gespräche einlassen solle! – die höchste Steigerung, die ein Mensch fühle, entstünde weder in dem gewöhnlichen egoistischen Verhalten, wo man sich alles aneigne, was einem begegne, noch, wie die Freunde behaupteten, in dem, was man Steigerung des Ich durch Eröffnung und Abgabe nennen könne, sondern sei eigentlich ein ruhender Zustand, in dem sich nie etwas ändere, wie ein stehendes Wasser.
    Gerda belebte sich und fragte, wie er das meine.
    Ulrich antwortete ihr darauf, daß Hans die ganze Zeit über, wenn auch zum Teil in sehr gewaltsamen Einkleidungen, von nichts als Liebe gesprochen habe; von der Heiligenliebe, der Einsiedlerliebe, der aus den Ufern der Wünsche getretenen Liebe, die immer als eine Auflösung, Auflockerung, ja als eine Verkehrung aller weltlichen Beziehungen beschrieben worden sei und jedenfalls nicht bloß ein Gefühl, sondern eine Veränderung des Denkens und der Sinne bedeute.
    Gerda sah ihn an, als wolle sie prüfen, ob er, mit seinem das ihre übersteigenden Wissen, auch das irgendwie in Erfahrung gebracht habe, oder ob von diesem heimlich geliebten Menschen, wie er hier, ohne sich viel merken zu lassen, neben ihr saß, jene seltsame Ausschickung ausgehe, die zwei Wesen bei getrennten Körpern vereint.
    Ulrich fühlte die Probe. Ihm war zumute, wie wenn er in einer fremden Sprache reden würde, in der er geläufig weitersprechen konnte, aber äußerlich, ohne daß die Worte in ihm Wurzeln hatten. »Man versteht in diesem Zustand,« sagte er »wo man aus den Grenzen tritt, die dem Verhalten sonst gezogen sind, alles, weil die Seele nur das annimmt, was zu ihr gehört; in gewissem Sinn weiß sie alles schon vorher, was sie erfahren wird. Liebende können sich keine Neuigkeiten sagen; es gibt auch kein Erkennen für sie. Denn der Liebende erkennt von dem Menschen, den er liebt, nichts, als daß er in einer unbeschreiblichen Weise durch ihn in innere Tätigkeit versetzt wird. Und einen Menschen erkennen, den er nicht liebt, heißt für ihn, jenen in die Liebe einbeziehen wie eine tote Mauer, auf der das Licht der Sonne liegt. Und ein lebloses Ding erkennen, heißt nicht, seine Eigenschaften eine nach der anderen auszuspähen, sondern es heißt, daß ein Schleier fällt oder eine Grenze aufgehoben wird, die der wahrnehmbaren Welt nicht angehören. Auch das Leblose tritt, unbekannt wie es ist, aber voll Vertrauen, in die Kameradschaft der Liebenden ein. Die Natur und der eigentümliche Geist der Liebenden blicken einander in die Augen; es sind das zwei Richtungen der gleichen Handlung, es ist ein Fließen in zwei Richtungen und ein Brennen von zwei Enden. Und einen Menschen oder ein Ding ohne Beziehung zu sich zu erkennen, das ist dann überhaupt nicht möglich; denn Kenntnis nehmen, das nimmt etwas von den Dingen, sie behalten ihre Gestalt, aber scheinen darin zu Asche zu zerfallen, es verdunstet etwas von ihnen, und es bleiben nur ihre Mumien. Darum gibt es auch keine Wahrheit für Liebende; sie wäre eine Sackgasse, ein Ende, der Tod des Gedankens, der, solange er lebt, dem atmenden Rand einer Flamme gleicht, daran Licht und Dunkel Brust an Brust liegen. Wie kann etwas einzelnes einleuchten, wo alles leuchtet?! Wozu das Almosen der Sicherheit und Eindeutigkeit, wo alles eine Überfülle ist? Und wie kann man noch etwas für sich allein begehren, sei es auch gerade das Geliebte selbst, wenn man erlebt hat, wie Liebende nicht mehr sich selbst gehören, sondern allem, was ihnen, den vieräugig Verflochtenen, entgegenkommt, sich schenken müssen?«
    Man vermag, wenn man diese Sprache beherrscht, in ihrer Anwendung mühelos fortzufahren. Man geht wie mit einem Licht in der Hand, dessen zarter Strahl auf eine Beziehung des Lebens nach der anderen fällt, und alle sehen sie aus, als wären sie in ihrer gewöhnlichen Erscheinung, die sie im festen Alletaglicht haben, nur rohe Mißverständnisse gewesen. Wie unmöglich erscheint zum Beispiel sogleich die Gebärde des Wortes »besitzen«, wenn man sie auf Liebende anwendet! Aber verrät es schöner anmutende Wünsche, daß man Grundsätze besitzen möchte? die Achtung seiner Kinder?

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