Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
Gedanken? sich selbst? Diese plumpe Angriffsgebärde eines schweren Tiers, das seine Beute mit dem ganzen Körper niederdrückt, ist jedoch berechtigterweise der Grund- und Leibausdruck des Kapitalismus, und so zeigt sich darin der Zusammenhang zwischen den Besitzenden des bürgerlichen Lebens und den Besitzern von Erkenntnissen und Fertigkeiten, zu denen es seine Denker und Künstler gemacht hat, während abseits Liebe und Askese als ein einsames Geschwisterpaar stehen. Und sind diese Geschwister, wenn sie beisammen stehn, nicht ziellos und zwecklos, im Gegensatz zu den Zielen und Zwecken des Lebens? Es stammen aber die Namen Ziel und Zweck aus der Sprache der Schützen: Bedeutet also ziellos und zwecklos in seinem ursprünglichen Zusammenhang nicht soviel wie kein Tötender sein? So kommt man bloß dadurch, daß man die Spur der Sprache verfolgt – eine verwischte, aber verräterische Spur! – schon darauf, wie sich allerorten der roh veränderte Sinn an die Stelle von bedachtsameren Beziehungen gedrängt hat, die ganz verlorengegangen sind. Es ist das wie ein überall zu fühlender, nirgends zu fassender Zusammenhang; Ulrich verzichtete darauf, ihm noch weiter redend zu folgen, aber es war Hans nicht zu verdenken, daß er glaubte, wenn man irgendwo anziehe, müsse sich das ganze Gewebe umstülpen, bloß sei die Ahnung der richtigen Stelle verlorengegangen. Er hatte Ulrich wiederholt unterbrochen und ergänzt. »Wenn Sie diese Erlebnisse als Forscher betrachten wollen, werden Sie nichts anderes darin sehen als ein Bankbeamter! Alle empirischen Erklärungen sind nur scheinbare und führen aus dem Kreis der niederen, sinnlich faßbaren Erkenntnisse nicht hinaus! Ihr Wissenwollen möchte die Welt auf nichts anderes als ein mechanisches Daumendrehen sogenannter Naturkräfte zurückführen!« Von solcher Art waren seine Einwände; Einwürfe. Er war bald grob, bald flammend. Er fühlte, daß er seine Sache schlecht vorgetragen habe, und machte es der Anwesenheit dieses fremden Mannes zum Vorwurf, der ein Alleinsein mit Gerda verhinderte, denn Aug in Auge mit ihr, wären die gleichen Worte ganz anders, schimmernden Wassern, kreisenden Falken gleich in die Höhe gestiegen, das wußte er; er fühlte, daß er eigentlich einen großen Tag hatte. Zugleich war er sehr erstaunt und böse darüber, Ulrich so leicht und eingehend an seiner Stelle sprechen zu hören. Ulrich sprach in Wahrheit keineswegs wie ein exakter Forscher, sondern redete weit mehr, als er verantworten wollte, und hatte trotzdem nicht den Eindruck, etwas zu sagen, was er nicht glaube. Ihn beflügelte eine unterdrückte Wut darüber. Es gehört eine sonderbar gehobene, leicht brennende Stimmung dazu, so zu sprechen, und die Ulrichs befand sich zwischen ihr und dem Anblick Hans', mit seinem fett gesträubten Haar, der schlecht gepflegten Haut, den häßlich eindringlichen Bewegungen, dem Wortschwall, in dessen Geifer doch ein Schleier von etwas Innerstem hing, das wie vom Herzen gezogene Haut war; aber streng genommen, hatte sich Ulrich sein ganzes Leben lang zwischen zwei solchen Eindrücken von dieser Sache befunden, er war seit je imstande gewesen, so geläufig darüber zu sprechen, wie er es heute tat, und halb daran zu glauben, doch war er über diese spielerische Fertigkeit nie hinausgegangen, weil er nicht an ihren Inhalt glaubte, auf welche Weise auch jetzt Lust und Unlust des Gesprächs miteinander Schritt hielten.
Aber Gerda achtete nicht auf die spöttischen Einwände, die er deshalb zuweilen wie ein Parodist einflocht, sondern stand nur unter dem Eindruck, daß er jetzt sich selbst geöffnet habe. Sie sah ihn beinahe ängstlich an. »Er ist viel weicher, als er es zugibt« dachte sie, wenn er sprach, und ein Gefühl wie von einem kleinen Kind, das an der Brust tastet, machte sie wehrlos. Ulrich fing ihren Blick auf. Er wußte fast alles, was zwischen ihr und Hans vor sich ging, weil sie davon geängstigt wurde und das Bedürfnis hatte, sich wenigstens in andeutenden Erzählungen davon zu befreien, die Ulrich leicht zu ergänzen vermochte. Sie sahen in der Besitzergreifung, die jungen Liebenden sonst als Ziel gilt, den Anfang des seelischen Kapitalismus, den sie verabscheuten, und glaubten die Leidenschaft der Körper zu verachten, verachteten aber auch die Besinnung, die ihnen als bürgerliches Ideal für verdächtig galt. So entstand ein un- und halbkörperliches Ineinanderverschlungensein; sie suchten einander zu bejahen, wie sie das nannten,
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