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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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begrenzt wurden, während auf der vierten, vor einem langgestreckten niederen Palais, die wie eine Eisbahn schimmernde Asphaltstraße mit Autos und Gespannen vorbeischoß, von denen keines den Winken und Zeichen folgte, die sie wie Schiffbrüchige abgaben, bis sie es müde wurden oder vergaßen und nur zeitweilig noch ermattend wiederholten.
    Arnheim trug persönlich ein großes Buch unter dem Arm. Es war das eine Gebärde, die ihn freute; herablassend und achtungsvoll zugleich vor dem Geist. Er sprach angeregt mit dem General. »Ich freue mich, auch in Ihnen einen Bibliotheksbesucher anzutreffen; man soll von Zeit zu Zeit den Geist in seinem eigenen Hause aufsuchen,« erläuterte er »aber das ist heutzutage unter Männern von Stellung eine Seltenheit geworden!«
    General Stumm erwiderte, daß er mit dieser Bibliothek sehr vertraut sei.
    Arnheim fand es anerkennenswert. »Es gibt jetzt fast nur noch Schriftsteller und keine Menschen mehr, die Bücher lesen« fuhr er fort. »Haben Sie sich, Herr General, schon einmal gefragt, wieviel Bücher jährlich gedruckt werden? Ich glaube mich zu erinnern, daß es über hundert Bücher täglich allein in Deutschland sind. Und mehr als tausend Zeitschriften werden jährlich gegründet! Jeder schreibt; jeder bedient sich jedes Gedankens als seines eigenen, wenn es ihm paßt; niemand denkt an eine Verantwortung für das Ganze! Seit die Kirche ihren Einfluß verloren hat, gibt es keine Autorität mehr in unserem Chaos. Es gibt kein Bildungsvorbild und keine Bildungsidee. Es ist unter diesen Umständen nur natürlich, daß Gefühle und Moral ohne Anker gleiten und der festeste Mensch zu wanken beginnt!«
    Dem General wurde trocken im Munde. Man konnte nicht sagen, daß Dr. Arnheim eigentlich zu ihm sprach; er war ein Mann, der auf einem Platz stand und laut dachte. Der General erinnerte sich, daß viele Menschen auf der Straße mit sich sprechen, während sie irgendwohin eilen; richtiger gesagt, viele Zivilisten, denn einen Soldaten würde man einsperren und einen Offizier auf die psychiatrische Station schicken. Es machte auf Stumm einen peinlichen Eindruck, sozusagen mitten in der Haupt- und Residenzstadt öffentlich zu philosophieren. Außer den beiden Männern stand nur noch ein stummer Mann auf dem Platz in der Sonne, und dieser war aus Erz und stand auf einem großen Stein; der General erinnerte sich nicht, wen er darstellte, und bemerkte ihn jetzt überhaupt zum erstenmal. Arnheim, der darauf aufmerksam wurde, erkundigte sich, wer das sei. Der General entschuldigte sich. »Und man hat ihn hierher gestellt, damit wir ihn verehren!« bemerkte der Gewaltige. »Aber so ist es wohl! Wir bewegen uns ja in jeder Minute zwischen Einrichtungen, Fragen und Forderungen, von denen wir nur das letzte Stück kennen, so daß die Gegenwart unaufhörlich in die Vergangenheit greift; wir brechen, wenn Sie mir erlauben, es so zu sagen, bis über die Knie in unterkellerte Zeit ein und empfinden das als höchste Gegenwart!«
    Arnheim lächelte, er machte Konversation. Seine Lippen spielten in der Sonne unaufhörlich auf und ab, in den Augen wechselten die Lichter wie auf einem signalisierenden Dampfer. Stumm wurde unheimlich zumut; er fand es schwer, seine Aufmerksamkeit bei so zahlreichen und ungewöhnlichen Wendungen immer von neuem zu erkennen zu geben, während er vor allen Leuten auf der Präsentierplatte von Platz in Uniform stand. In den Ritzen zwischen den Pflastersteinen wuchs Gras; es war vom Vorjahr und sah unwahrscheinlich frisch aus, wie eine Leiche, die im Schnee gelegen hat; es war überhaupt außerordentlich merkwürdig und störend, daß da zwischen Steinen Gras wuchs, wenn man bedachte, daß wenige Schritte davon entfernt der Asphalt von Autos zeitgemäß blank geputzt wurde. Der General begann unter der ängstlichen Eingebung zu leiden, es könnte sich, wenn er noch lange zuhören müsse, ereignen, daß er sich auf die Knie werfe und vor allen Leuten Gras fresse. Es war ihm unklar, warum; aber er sah sich Schutz suchend nach Ulrich und Diotima um.
    Diese hatten sich in einen dünnen Schattenschleier gerettet, der um eine Mauerecke spann, und man hörte nur ihre unverständlich leisen Stimmen in einem Streit, der zwischen ihnen entbrannt war.
    »Das ist eine trostlose Auffassung!« sagte Diotima.
    »Was?« fragte Ulrich, mehr mechanisch als neugierig.
    »Es gibt im Leben doch auch Individualitäten!«
    Ulrich bemühte sich, ihr von der Seite ins Auge zu sehn. »Du lieber

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