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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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man etwas Besonderes sein müsse. »Man muß nichts Besonderes sein!« sagte er sich trotzig. Es erschien ihm als eine Feigheit, diese Einbildung nicht entbehren zu können. »Wir alle haben Exzesse in uns« dachte er wegwerfend. »Wir haben das Kranke, das Schaurige, das Einsame, das Bösartige in uns; jeder von uns könnte etwas, das nur er könnte: das bedeutet noch gar nichts!« Es erbitterte ihn der Wahn, daß man die Aufgabe haben solle, das Ungewöhnliche zu entwickeln, statt diese leicht verderblichen Auswüchse zurückzunehmen, organisch einzuschmelzen und das leicht allzu ruhig werdende bürgerliche Blut ein wenig mit ihnen aufzufrischen. So dachte er und wartete auf den Tag, wo ihm Musik und Malen nicht mehr bedeuten sollten als eine edle Art, sich zu vergnügen. Daß er sich ein Kind wünschte, gehörte zu diesen neuen Aufgaben; das Verlangen, das ihn in seiner Jugend beherrscht hatte, ein Titan und Feuerbringer zu werden, zeitigte es nun als letzte Folge, daß er den Glauben, man müsse zuvor wie alle werden, mit einiger Übertreibung aufnahm; er schämte sich zu dieser Zeit, weil er kein Kind besaß, er hätte fünf Kinder gewollt, wenn das Clarisse und sein Einkommen gestattet haben würden, denn es drängte ihn, die Mitte eines warmen Lebenskreises zu sein, und er wünschte sich, den großen das Leben tragenden Menschendurchschnitt an Durchschnittlichkeit noch zu übertreffen, unerachtet des Widerspruchs, der gerade in diesem Verlangen liegt.
    Aber mochte es sein, daß er zu viel nachgedacht oder geschlafen hatte, ehe er sich zum Ausgehen herrichtete und dieses Gespräch begann, er hatte jetzt heiße Wangen, und wie sich zeigte, begriff Clarisse gleich, warum er sich ihrem Buch näherte, und diese Feinheit der beiderseitigen Abstimmung trotz der schmerzlichen Zeichen von Abneigung bewegte ihn sofort geheimnisvoll, so daß die Brutalität darunter zu leiden hatte und seine Einfachheit wieder in Stücke ging. »Warum willst du mir nicht zeigen, was du gelesen hast? Laß uns doch sprechen!« begehrte er eingeschüchtert.
    »Man kann nicht ‚sprechen‘!« zischte Clarisse.
    »Wie du überspannt bist!« rief Walter aus. Er wollte ihr das Buch aufgeschlagen entwinden. Clarisse hielt es eigensinnig an sich. Aber nachdem sie eine Weile miteinander gerungen hatten, fiel Walter ein: »Was will ich denn eigentlich von dem Buch!?« und er ließ Clarisse los. Damit wäre die Angelegenheit nun eigentlich zu Ende gewesen, wenn sich Clarisse nicht in dem Augenblick, wo sie wieder frei war, erst recht so heftig gegen die Wand gepreßt hätte, als müßte sie sich, um drohender Gewalt auszuweichen, rückwärts durch eine steife Hecke drücken. Sie fand keinen Atem, war bleich und schrie ihm heiser zu: »Statt selbst etwas zu leisten, möchtest du dich in einem Kind fortsetzen!«
    Wie giftiges Feuer würgte ihr Mund ihm diesen Satz entgegen, und nun keuchte auch Walter unwillkürlich von neuem sein »Laß uns sprechen!«
    »Ich will nicht sprechen, du bist mir widerwärtig!!« antwortete Clarisse, plötzlich wieder in vollem Besitz ihrer Stimmittel und diese so zielbewußt ausnützend, als fiele eine schwere Porzellanschüssel genau zwischen ihren und Walters Füßen zur Erde. Walter trat einen Schritt zurück und sah sie überrascht an.
    Clarisse meinte es nicht so böse. Sie hatte bloß Angst, daß sie doch einmal aus Gutmütigkeit oder aus Nachlässigkeit nachgeben könnte; dann würde Walter sie sofort mit Wickelbändern an sich schnüren, und das durfte am wenigsten jetzt geschehen, wo sie die ganze Frage zur Entscheidung bringen wollte. Die Ereignisse hatten sich »zugespitzt«; dieses Wort fühlte sie dick unterstrichen in ihrem Kopf, das Walter gebraucht hatte, um ihr zu erklären, warum die Leute auf die Straße gingen; denn Ulrich, der mit Nietzsche dadurch zusammenhing, daß er ihr seine Werke zur Hochzeit geschenkt hatte, befand sich auf der anderen Seite, gegen die sich die Spitze richtete, falls es losging; und Nietzsche hatte ihr soeben ein Zeichen gegeben, und wenn sie sich dabei auf einem »hohen Berg« stehen sah, was ist ein hoher Berg anderes als hoch zugespitzte Erde?! Das waren also ganz sonderbare Zusammenhänge, die wohl kaum noch ein Mensch enträtselt haben konnte und sie kamen sogar Clarisse nicht klar vor; aber gerade darum wollte sie allein sein und Walter aus dem Haus scheuchen. Der wilde Haß, der in diesem Augenblick aus ihrem Gesicht loderte, war kein ungemischter und ernster, sondern

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