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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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hin vorhanden fühlen« : ungefähr so hätte er ihr entgegnen mögen. Denn Walter hatte immer Glück gehabt mit Menschen; selbst im Streit wurden sie von ihm angezogen, und er von ihnen, und so war die etwas flache Meinung, daß der Menschengemeinschaft eine ausgleichende, das Tüchtige belohnende Kraft innewohne, die sich schließlich immer durchzusetzen verstehe, in seinem Leben zu einer stehenden Überzeugung geworden. Es fiel ihm ein, daß es Menschen gibt, die Vögel anlocken; die Vögel fliegen gern zu ihnen hin, und solche Menschen haben oft selbst etwas Vogelhaftes in ihrem Ausdruck. Es war überhaupt seine Überzeugung, daß jeder Mensch ein Tier habe, mit dem er auf unerklärliche Weise zusammenhänge. Diese Theorie hatte er einmal ausgedacht; sie war nicht wissenschaftlich, aber er glaubte, daß musikalische Menschen vieles ahnen, was über der Wissenschaft liegt, und schon seit seiner Kindheit stand es fest, daß sein Tier Fische seien. Fische hatten ihn immer heftig angezogen, vermischt mit Grauen, und zu Beginn eines Ferienaufenthalts hielt er es stets wie toll mit ihnen; er konnte dann stundenlang am Wasser stehn, sie aus ihrem Element herausangeln und ihre Leichen neben sich ins Gras legen, bis das plötzlich mit einem Widerwillen abschloß, der an Entsetzen streifte. Und Fische in der Küche gehörten zu seinen frühesten Leidenschaften. Die Gerippe der Ausgeweideten wurden in einen Weidling getan, ein nachenförmiges Küchengerät, grün-weiß glasiert, wie Gras und Wolken, und halb mit Wasser gefüllt, worin die Skelette aus irgendeinem mit den Gesetzen des Küchenreichs zusammenhängenden Grund liegen blieben, bis die Mahlzeit fertig bereitet war und sie auf den Mist wanderten; zu diesem Gefäß zog es geheimnisvoll den Knaben, der stundenlang unter kindlichen Vorwänden dahin zurückkehrte und, wenn er rundweg befragt wurde, die Sprache verlor. Heute würde er vielleicht zur Antwort geben können, daß der Zauber der Fische darin bestehe, daß sie nicht zwei Elementen angehören, sondern ganz in einem ruhn. Er sah sie wieder vor sich, wie er sie oft im tiefen Wasserspiegel gesehen, und sie bewegten sich nicht so wie er selbst über einem Boden hin, an dessen Grenze gegen ein leeres Zweites (weder da, noch dort daheim! dachte Walter, den Gedanken kreuz und quer spinnend; einer Erde angehörig, mit der man gerade nur die kleine Fläche der Füße gemeinsam hat, und mit dem ganzen Körper in eine Luft ragend, in der man fallen würde und die man von ihrem Platz drängt!), sondern der Boden der Fische, ihre Luft, ihr Trank, ihre Speise, ihr Schreck vor Feinden, der schattenhafte Zug ihrer Liebe und ihr Grab schlossen sie ein; sie bewegten sich in dem, wovon sie bewegt wurden, wie es der Mensch nur im Traum erlebt oder vielleicht in dem sehnsüchtigen Verlangen, die schützende Zärtlichkeit des Mutterleibs wiederzufinden, woran zu glauben, damals gerade Mode zu werden anfing. Aber warum tötete er dann die Fische und riß sie heraus? Es bereitete ihm einen unaussprechlichen, heiligen Genuß! Und er wollte nicht wissen, warum; er, Walter, der Rätselvolle! Aber Clarisse hatte einmal Fische einfach Wasserbourgeois genannt?! Er zuckte beleidigt zusammen. Und während er – in dem erdachten Zustand, worin er sich befand und eben auch alles das dachte – durch die Straßen eilte und den Menschen, die ihm begegneten, in die Gesichter sah, war gutes Fischwetter geworden; es regnete zwar noch nicht gerade, aber Nässe fiel, und die Gehsteige und Fahrbahnen waren, wie er jetzt erst bemerkte, schon seit einer Weile dunkelbraun. Nun sahen die Menschen, die sich darauf bewegten, schwarz gekleidet aus und sie trugen steife Hüte, aber keine Kragen; Walter nahm es ohne Verwunderung hin; jedenfalls waren sie keine Bourgeois, sondern kamen anscheinend aus einer Fabrik, gingen in lockeren Gruppen, und andere Menschen, die noch nicht Feierabend machten, schoben sich so wie er hastiger zwischen ihnen vor, und er wurde sehr glücklich, bloß die nackten Hälse erinnerten ihn an etwas, das ihn störte und nicht ganz geheuer war. Und plötzlich quoll Regen aus dem Bild; ein Stieben von Menschen begann, etwas Aufgeschlitztes war in der Luft, Weißblinkendes; Fische fielen; und über alles hin zog ein zitternder, zärtlicher, scheinbar gar nicht dazugehörender Ruf einer einzelnen Stimme, die einen kleinen Hund bei seinem Namen lockte.
    Diese letzten Veränderungen waren so unabhängig von ihm, daß sie ihn selbst

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