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Der Mann ohne Geld - Meine Erfahrungen aus einem Jahr Konsumverweigerung

Der Mann ohne Geld - Meine Erfahrungen aus einem Jahr Konsumverweigerung

Titel: Der Mann ohne Geld - Meine Erfahrungen aus einem Jahr Konsumverweigerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Boyle
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interagierten. Am Montag sprachen mich die Leute häufig an und bezogen mich regelmäßig mit ein. Genauso am Dienstag. Doch am Mittwoch hatte ich das Gefühl, dass sie viel weniger mit mir sprachen, wahrscheinlich, weil die Menschen viel lieber mit jemandem reden, der Antworten gibt und mit ihnen lacht. Das brachte mich dazu darüber nachzudenken, wie es sich anfühlen muss, in einer Welt taub und stumm zu sein, in der alle anderen hören und sprechen können. Oder wie es sich anfühlen muss, allein in einer Stadt zu leben, umgeben von Menschen. Ich fühlte mich manchmal einsam und beendete mein Schweigen mit einem größeren Einfühlungsvermögen in jene, die die Gesellschaft nicht zu würdigen scheint.
    Die Woche bewirkte Wunder, was meine Selbstdisziplin anbelangte, ein Werkzeug, das, wie ich feststelle, ständig geschärft werden muss. Das Schöne an der Selbstdisziplin ist, dass man sie, wenn man sie in einem Bereich seines Lebens praktiziert, leicht auf einen anderen übertragen kann. Siddharta, Held in Hermann Hesses gleichnamigem Klassiker, antwortet auf die Frage seines zukünftigen Arbeitgebers nach seinen Talenten: »Ich kann fasten …« – »Fasten – wozu ist es gut?«, fragt der Kaufmann. Siddharta antwortet: »Wenn ein Mensch nichts zu essen hat, so ist Fasten das Allerklügste, was er tun kann.« Etwas aufzugeben, das einem freisteht zu tun, bildet den Charakter. 3
    Was hat mich meine Woche des Schweigens gelehrt? Dass es definitiv viel schwerer, wenn nicht unmöglich ist, Menschen zu kritisieren, wenn man nicht sprechen kann. Dass die Unfähigkeit zu Überreaktionen bei Dingen, die mir missfielen, mich davor bewahrte, die Gefühle anderer zu verletzen. Und dass ich, obwohl ich eine Woche Schweigen sehr nützlich fand und weiterempfehlen würde, absolut nicht vorhätte, es länger durchzuhalten.
    Doch meiner Entscheidung, ob ich über das offizielle Jahr hinaus weiterhin ohne Geld leben sollte oder nicht, war ich kein Stück näher gekommen. Und ich hatte nur noch einige Wochen vor mir.
    Medienansturm 2.0
    Nicht mehr lang, und meine geldlose Welt würde wieder außer Rand und Band geraten. Da mein Experiment nur noch einen Monat dauerte, rechnete ich mit einer erneuten Woge des Medieninteresses. An dem Tag, nachdem ich mein einwöchiges Schweigegelübde beendet hatte, erhielt ich eine E-Mail von Adam Vaughan, einem der Herausgeber des Guardian online . Er fragte mich, ob ich auf die Schnelle einen 700 Wörter langen Blog-Eintrag darüber schreiben wolle, warum ich tat, was ich tat, und was für Erfahrungen ich dabei gemacht hätte. Das jagte mir Angst ein: Ich hatte wirklich viel zu tun, und obwohl ich die Chance begrüßte, meine Botschaft publik zu machen, sagten mein Körper und mein Geist mir, dass ich eine richtige Pause brauchte, die Art von Pause, bei der man niemanden sieht und nichts tut. Ich fragte Adam, von wie vielen Blog-Lesern er ausging, um mich zu vergewissern, dass der Aufwand sich lohnte. Adam sagte, dass wenigstens einige tausend Leser den Eintrag lesen würden, aber wenn es gut laufe, könnten es auch Zehntausende sein. Das war gut genug für mich, besonders, weil man nie weiß, wohin die Dinge führen. Was dann passierte, schockierte sowohl Adam als auch mich. Innerhalb von Stunden, nachdem mein Blog-Eintrag gepostet war, wurde heiß darüber diskutiert. Einige Stunden später kletterte der Eintrag auf Platz fünf der »meistgelesenen Storys« auf der Hitliste der Website.
    Die Charts des Guardian online sind eine Art sich selbst erhaltendes System. Leute mit wenig Zeit orientieren sich an der Liste, um schnell die aktuellen Topthemen zu lesen. Schießt eine Geschichte an die Spitze der Charts, kann es passieren, dass sie tagelang dort oben bleibt und sich im Internet verbreitet.
    Die heiße Diskussion katapultierte meinen Blog-Eintrag bis zum Nachmittag direkt an die Spitze, und es kamen schnell viele Kommentare dazu herein. Rund 60 Prozent der Kommentare waren positiv und befürworteten das Experiment in einem Ausmaß, das ich bisher nicht erlebt hatte, etwa zehn Prozent waren neugierig, und die übrigen 30 Prozent meinten, ich sei ein bürgerlicher »Trustafarian« (ein Freigeist und Pseudo-Bohemien, der aus einem von der Familie eingerichteten Fonds ausreichend Geld bezieht), der nichts Besseres zu tun hat.
    Ironischerweise waren es meine Kritiker, die die Debatte am Laufen hielten und dafür sorgten, dass die Story an der Chartspitze blieb. Die Kommentare waren total

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