Der Mann ohne Geld - Meine Erfahrungen aus einem Jahr Konsumverweigerung
polarisiert und die Moderatoren völlig außen vor. Es waren Heiratsangebote und Angebote für Gelegenheitssex dabei (sowohl von Frauen als auch von Männern). Ich erhielt Referenzen, die ich nicht annähernd verdient hatte. Man bezeichnete mich als Heuchler, weil ich ein Handy und einen Laptop benutzte. Es hieß, was ich tue, sei eine Beleidigung für die armen Menschen in Afrika. Ich wurde als ruhmsüchtiger Egomane bezeichnet, der einen Publicity-Stunt vollführt … Meine Wirklichkeit war irgendwo dazwischen. Ich war ein ganz normaler Typ, der jetzt tat, was er für das Beste hielt, und nur allzu gut wusste, dass seine Chance, im Recht oder im Unrecht zu sein, bei 50/50 lag.
Der Blog-Eintrag wurde mit 400000 Lesern schließlich zur meistgelesenen Story auf Guardian online . Paul Kingsnorth (Autor von Real England und Global Attack! Der neue Widerstand gegen die Diktatur der Konzerne ) und George Monbiot (Autor unter anderem von Hitze: Wie wir verhindern, dass sich die Erde weiter aufheizt und unbewohnbar wird und United People: Manifest für eine neue Weltordnung ), zwei Menschen, deren Ideen mich stark beeinflusst haben, stiegen in die Diskussion mit ein. Adam war angenehm überrascht und bat mich, einen Folgeeintrag für den Blog zu schreiben, während der Guardian selbst einen Artikel für sein G2 -Magazin haben wollte. Und schon ging es wieder los.
Ich hatte einen Link zur Freeconomy-Community-Website hinzugefügt, und die Seite spielte verrückt. Tagelang stieß jede Minute ein neues Mitglied hinzu. Innerhalb einer Woche wuchs die Community um mehr als 15 Prozent. Im November erhielt ich pro Tag zwischen 75 und 150 E-Mails von Gratulanten und Leuten, die ein Interesse daran hatten, dass die Freeconomy Online-Community ihren nächsten logischen Schritt machte: ins wahre Leben. Irgendwie gelang es mir sogar, Briefe per Post zu bekommen, obwohl ich nie bekannt gegeben hatte, wo ich lebte. Interessanterweise waren unter den E-Mails und Briefen keine negativen Stimmen oder Drohungen. Die negativen Einträge schienen die Anonymität eines Blog-Kommentars zu brauchen, woran ich mich durch meinen eigenen Blog gewöhnt hatte.
Es war unmöglich, alle E-Mails zu beantworten, und die Medien aus aller Welt waren mir wieder auf den Fersen. An einem Tag gab ich Journalisten aus acht Ländern Interviews. Es war verrückt: viel zu viel für einen Menschen. Ich hatte nur sechs Wochen, um ein Buch zu schreiben, musste ein kostenloses Fest und ein Festival für Tausende von Menschen organisieren und über die unbedeutende Sache nachdenken, wie man ohne Geld überlebt. Aber es war eine aufregende Zeit. Zu sehen, wie sich die Botschaft, die ich so leidenschaftlich vertrat, in der ganzen Welt verbreitete, erfüllte mich mit Freude und gab mir erfreulicherweise den Adrenalinschub, den ich so brauchte. Und zum ersten Mal seit Langem fühlte ich mich bei dem, was ich tat, nicht so einsam. Eine Menge E-Mails und Briefe kamen von Leuten, die selbst den Weg zu einem Leben ohne Geld beschreiten wollten. Dies zu wissen, gab mir für die folgenden Wochen viel Kraft.
2 William Shakespeare, King Lear , Akt 4, Szene VI.
3 Zitiert nach: www.gutenberg.org/cache/epub/2499/pg2499.html
14 Das Ende?
Noch nie in meinem Leben war die Zeit so schnell verflogen. Die Erschöpfung und die Ängste, die ich einen Tag vor meinem Jahr ohne Geld gespürt hatte, waren mir noch im Gedächtnis, aber die Ziellinie war bereits in Sicht. Vor zehn Monaten hatte ich gedacht, dass der November gar nicht schnell genug kommen könnte, doch jetzt war meine einzige Sorge der ernüchternde Gedanke, wieder in die Bürokratie zurückzukehren. Es war fast ein Jahr her, seit ich per Post Briefe mit Sichtfenster erhalten hatte (ein klarer Hinweis, dass sie von Maschinen und nicht von Menschen kommen). Ich fing an, mich an die Vorstellung eines Lebens ohne Bankauszüge, Stromrechnungen und Steuererklärungen zu gewöhnen.
Ich dachte, nichts könne mich davon abhalten, mein Jahr zu beenden – es sei denn größere Gesundheitsprobleme. In dieser Phase hatte ich das Gefühl, dass ich 30 Tage bewältigen könnte, egal was passierte. Doch mir war nicht bewusst, dass die letzten Schritte die mental härtesten der gesamten zwölf Monate sein würden. Ich musste nicht ums Überleben kämpfen, das war Schnee von gestern. Ich hatte vielmehr die einzigartige Chance, etwas zu Ende zu führen, was ich begonnen hatte, und zwar auf eine Weise, die seine Wirkung maximieren und, wie ich
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