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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
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an, in der die leise Verachtung der Männer für eine Dame selbstverständlich war. Wir mussten uns von ihnen distanzieren, von den Adenauers und Brandts, den großen Mimen, den alten Dichtern, die mit unserem Leben nichts zu tun hatten. Und so war eine Generation von Frauen herangewachsen, die ihre Kräfte maßlos überschätzten. Die in allem brillant sein mussten, keine Hilfe akzeptieren konnten, die krank wurden wegen eines zu anstrengenden Lebensentwurfes, ohne Rückzugsmöglichkeit und Ort zum Ausruhen. Als ich mit Männern Frieden schloss, weil ich nach den Jahren des Kampfes gegen sie herausgefunden hatte, dass sie sich von Frauen wenig unterschieden, war es, wie ich fand, bereits zu spät, um mein Leben noch mit einem zu teilen, denn das war etwas, das ich nicht einmal mit mir teilen wollte, es war ja kaum mehr etwas davon übrig.

Heute.
Nachmittag.
    Ich hatte vergessen, wie es sich anfühlt, nichts um sich zu haben als die Begrenztheit des eigenen Verstands und den Körper, der wie eine Trikotage um das hängt, was unzureichende Empfindungen sind.
    Manchmal stellt sich ein kleines Wohlgefühl ein, wenn ich mich sehr viel langsamer bewege, als es meinen Impulsen entspräche. Der Körper wird betrunken, und der Herzschlag beruhigt sich. Elegant in Zeitlupe schwebe ich am Haus des Masseurs der Insel vorbei. Manchmal sehe ich den grimmig wirkenden Chinesen in sein Haus gehen und frage mich, wer sich von einem Mann massieren lässt, der wirkt wie ein Eisenbieger auf dem Jahrmarkt. Ich gleite weiter in Richtung Hafen.
    Der Umriss der Insel ähnelt, angemessen verkleinert, dem Großbritanniens. Steht man davor, befindet sich unten in der hammerhaikopfähnlichen Spitze der Fähranleger, über seinen Steg gelangt man, an den Fischrestaurants vorbei, auf die Dorfgasse, in der sich meine Wohnung befindet, von dort geht es links in die Bucht, zu der mich meine täglichen Rundläufe führen. Geht man von der Fähre den Hügel hinauf, passiert man das Wohnquartier der Ausländer, und am Rande einer anderen Bucht gelangt man zu einem kleinen Dorf, in dem ausschließlich Chinesen wohnen. Den Weg kann man in zwei Stunden bewältigen, und das war meine Aufgabe zwischen Tofupudding und Nachmittagskaffee. Die Strecke ist,was wir Alpinisten unter anspruchsvoll verstehen, schließt sie doch die Besteigung eines steilen Hügels ein, bei dessen Bezwingung meine Lunge rasselt und sich komplette Leere im Gehirn einstellt.
    Mit halbgeleertem Gehirn fallen mir nach geraumer Zeit des Wanderns viele kleine Vögel auf, die meine Tour begleiten. Sie sehen aus, als gehörten sie zum chinesischen Zweig der Spatzenfamilie. Die kleinen Idioten springen vor mir her, und ich nehme mir die Zeit, sie zu mustern. Außerordentlich reizende gefiederte Freunde sind das, lieb lächelnd, knopfäugig, und auf einmal überwältigt mich der Gedanke: Ich muss einen solchen Vogel besitzen. Ich könnte ihn wie einen kleinen Mann in meiner Hand spazieren führen und das Klopfen seines Herzens hören. Ich bin überzeugt, dass mich so ein Vogel retten kann. Ich versuche mich anzuschleichen, als sie äsen, die kleinen Schurken, und sie fliegen doch auf, wann immer ich mich ihnen nähere.
    Ich schwitze und schreie, ich weine und bin ohnmächtig, doch einen kleinen Vogel kann ich nicht fangen. Am Ende bleibe ich, sitzend auf dem Weg in ein unerhebliches Dorf am Ende der Welt, ohne einen kleinen Vogel, den ich mit zu Bett nehmen könnte.

Damals.
Vor vier Jahren.
    Meine Zukunft umgab mich wie ein gelbes Gas, drang durch die Wände, schob sich unter der Tür hindurch und floss in den Korridor. In dem Haus, in dem ich wohnte, hielten sich neben mir nur alleinstehende Damen auf, keine unter achtzig, in wohlriechenden Wohnungen, in denen schwere Teppiche lagen. Die Damen spielten Klavier, gingen mit rosenfarbenen Kostümen zu Diavorträgen, und von Zeit zu Zeit starb eine, dann erstarrte die gesamte Hausgemeinschaft, als habe sie Angst, dass der Tod sie sehen könnte bei zu schnellen Bewegungen.
    Ich lebte, als sei ich eine von ihnen. Meine Kleidung war unauffällig und alterslos, mein Haar hatte ich in einem dunklen Ton gefärbt, weil meine natürliche Haarfarbe mir zu grell und anbiedernd erschien. Ich wollte von niemandem mehr angesprochen werden, ich glaubte nicht daran, dass ich noch wen fände, der mit mir und einem Hund in einem Bett liegen wollte. Das war die einzig mögliche Form von Gemeinschaft, die ich mir vorstellen konnte, und es war noch nicht einmal

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