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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
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meine eigene Idee. Ich hatte ein Foto von einem britischen Paar um die siebzig gesehen, die umgeben von Büchern, feinem Geschirr und Notizen nebeneinander in einem Bett lagen. Sie trugen Seidenanzüge, und alles an ihnen war so gepflegt und reizend, dass ich eine große Sehnsucht danach bekam, Teil ihrer Geschichte zu sein.
    Seit ich über dreißig war, hatte ich alte Menschen beneidet.Um ihre Rente und die Entspanntheit, nicht mehr unbedingt etwas mit dem Leben anfangen zu müssen, und vor allem um ihre Unsichtbarkeit.
    Meinen Tagesablauf hatte ich mit der Perfektion eines meisterhaft gelungenen Ikebana-Gestecks gestaltet, sodass es nicht vorstellbar schien, irgendetwas daran zu ändern, ohne die Schönheit des Ganzen zu vernichten.
    Wie fast alle Menschen liebte ich die beruhigende Wirkung von Routine.
    Das Frühstück mit der Zeitung im wöchentlich manisch weiß bezogenen Bett eingenommen, die Arbeit bis zum Mittag, ein kleiner Spaziergang zu einem Suppenrestaurant. Dann Fortsetzen der Tätigkeit und am Abend ein Film, ein Buch, ein Bad; die Möglichkeiten, es sich angenehm zu machen, waren manchmal fast erschlagend vielgestaltig. Zunehmend empfand ich Telefonanrufe als eine Belästigung, die mich in einer der Tätigkeiten, die meinen Tag strukturierten, störten, und ich erwog die Abschaffung des Apparates; nur schien es mir zu schrullig, um der Idee wirklich zu folgen. Ich verstand, warum Rentner niemals Zeit hatten, warum ihnen oft die Mahlzeiten wichtiger waren als Verabredungen. Mir ging es ähnlich. Wohl fühlte ich mich nur mit den wenigen Personen, die nichts von mir erwarteten und die mich nicht unter Druck setzten, etwas wider meine Gewohnheiten zu unternehmen.
    Ich ertrug Unterhaltungen immer weniger. Die meisten Leute waren mir zu uninformiert, der Verstand besetzt von manipulierten Nachrichten, die sie dann ihre Meinung nannten, vergessend, dass eine Meinung nicht mehr ist als ein flüchtiger chemischer Prozess. An Meinungen festzuhalten offenbart ein großes Maß an Trägheit.
    Es interessierte mich nicht.
    Zu hören, wie man die Welt verändern könnte, wer die Bösen und die Guten waren, um danach selbstgefällig zu seinen kleinen Verrichtungen zurückzufinden, hatte etwas so Lächerliches, dass ich es kaum mehr ertrug, ohne in den Teppich zu beißen, doch selbst diese kleine rührende Geste war einem verleidet, seit bekannt wurde, dass es offenbar eine der Führervorlieben gewesen war.
    Mag man es Resignation nennen, Abstumpfung oder die Weisheit, nicht mehr gegen Unabänderliches zu kämpfen, doch schien mir das Einzige, was helfen konnte, vielen ein angenehmeres Leben zu schaffen, eine gute Ausbildung zu sein, Geld und harte Gesetze. Menschen werden ohne empfindliche Geldstrafen ihr Verhalten nie ändern. Der Rest bliebe immer der Bosheit, der Dummheit und der Gier überlassen.
    Ich versuchte ein Leben zu führen, bei dem niemand zu Schaden kam. Mehr stand nicht in meiner Macht. Die alten Damen in meinem Haus verklagten einander, weil Blütenblätter von oben nach unten auf Balkone rieselten, sie riefen die Polizei, wenn eine Dame zu laut Klavier spielte, sie grüßten sich nicht im Flur, sie klopften mit Stöcken auf den Boden, sie waren bitter und widerwärtig und bestätigten all das, was ich von Menschen dachte. Wie ein Krake saß ich in meiner Wohnung und wartete auf den Tag, da ich zum ersten Mal eine Klage an die Hausverwaltung schreiben würde. Er schien mir nicht weit entfernt.

Heute.
Nachmittag.
    Die nächste Station meines streng organisierten, völlig sinnlosen Tagesablaufes führt mich in eines der Ausländercafés am Ende der Hauptgasse. Zwei Stahlbeton-Jogger zischen an mir vorüber, ich vermeine ihren Schweiß spritzen zu sehen. Reste alten Feuers kehren für Sekunden zurück, und behende stelle ich einem der Vorbeilaufenden ein Bein. Er fällt wie ein Baum, und fast bekomme ich für Sekunden gute Laune. Vermutlich würde ich Läufer, besonders Marathonläufer, mit Wärme an mein Herz drücken, wenn die Welt unterginge und wir noch zwei Sekunden zu leben hätten und sich eine Gruppe Läufer um mich aufhielte. So aber verachtete ich sie aufrecht, sie waren der Gegenentwurf zu allem, was mir lieb war.
    Über die kleine sportliche Betätigung konnte ich meine Magenschmerzen kurz vergessen, sie kommen zurück, nun, da ich das Café betrete. Es könnte sehr gut in Amerika sein, das kleine esoterische Gewölle, mit Blumen und Klangspiel, eine befremdliche Mischung aus vegetarisch,

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