Der Mann schlaeft
springen.
Ein guter Tag.
Das Restaurant sah aus, wie alle Restaurants in jener Zeit aussahen. Der Versuch, die Atmosphäre französischer Bistros nachzugestalten, hielt sich hartnäckig, obgleich jeder Gastwirt begriffen haben sollte, dass rote Lederbänke ohne ein glamouröses Publikum darauf nur rote Lederbänke waren. All die verzweifelten Designversuche führten zu Gasträumen,die aussahen wie Wartehallen. Vermutlich war mir da ein mäßig origineller Gedanke gekommen – die Leute trafen sich in diesen Restaurants und warteten, dass etwas passierte. Und wenn es nur ein gelungenes Essen war. Aber damit sollte man nicht rechnen. Es wurde Fernsehkochzeug serviert. Irgendwas, wo noch ein Knochen rausragte. Herausragende Knöchlein in Restaurants, die Zum Schlachter hießen, waren das, was man schätzte in dieser Saison. Um mich herum sah ich Menschen mit Tierköpfen, vornehmlich Echsen, die Nahrung zu sich nahmen, dabei sprachen, spuckten, Zuhören vortäuschten, Hemden spannten, die Hosen zu kurz; was mochte sich unter den Socken verbergen.
Ich versuchte mich abzulenken, indem ich an die wunderbaren Dinge dachte, die Menschen zu schaffen in der Lage waren. Sushi und Eiffelturm, Haikus und Kaschmirpullover.
Ich schaute, halb betäubt von den Geräuschen, dem Klappern und Schwatzen, dem Kauen und Lachen, dem Zuviel an ungewollten Informationen, auf meine Bekannten.
Da saßen wir zusammen und nahmen nach nichts schmeckende Nahrung gemeinsam ein, nur weil ich in Abständen dem Glauben erlag, ich müsse meine Wohnung verlassen, um an den Errungenschaften unserer Zeit teilzuhaben. Manchmal wurden meine Anstrengungen belohnt. Dann traf ich auf eine neue Idee, die es, gleich, in welcher Form sie mir begegnete, zu bewundern galt, oder sehr selten auch auf einen Lebensentwurf, der mir fremd war.
An jenem Tag schien sich nichts Großes mehr zu ereignen. Die Bekannten waren Homosexuelle, typische Begleiter von Damen unklaren Alters, die immerhin oft mit interessantem Spezialwissen aus der Modebranche oder der bildendenKunst aufzuwarten wussten und die sich bemühten, ein angenehmes Äußeres herzustellen, wenn der Körper dieser Aufgabe nicht mehr ohne weiteres nachzukommen vermochte.
Ich versank in leichten Schlaf, während die Bekannten detailliert über den Zustand des Kunstbetriebs diskutierten. Ich war in die, selbstverständlich unbequeme, rote Lederbank gesunken und hatte das Gefühl, dass ich meine Augen nie mehr würde öffnen können. »Die Kommerzialisierung der Welt hat ein unerträgliches Maß angenommen«, hörte ich dumpf, als läge ich in einem Paket, das jemandem zugestellt worden war, der die Annahme verweigerte. Ich beobachtete das Paar mir gegenüber, die Herren waren seit zehn Jahren zusammen, und ich hatte nichts mit ihnen zu tun. Nach unserem Essen würden sie nach Hause gehen und eine Familie sein. Das war, um was ich sie gerade äußerst beneidete. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass mein Leben zu lang sein würde, als dass mir meine ausschließliche Anwesenheit darin genügen würde.
Vor den großen, in Bleiglas gefassten Fenstern ging ein kalter Regen nieder, und ich dachte an den Winter, der kommen würde, und wie außerordentlich abgenutzt mir all die Annehmlichkeiten schienen, mit denen ich mir den Umstand schön zu machen suchen würde, dass vier unnütze Monate herumzubringen wären. Die Badewanne, die Bücher, die DVDs, ich wollte gerade wieder einnicken ob der großen Langeweile, als Unruhe entstand.
Neben mir drängte sich ein massiger Mensch auf die rote Sitzbank. Er fiel mir in meiner Apathie nur dadurch auf, dass er in der Umgebung der nachgestellten Bohème-Welt völlig unpassend wirkte. Er war mit zwei Frauen gekommen, dievielleicht mit ihm verwandt waren. Die Frauen unterhielten sich, und der Mann war umgehend auf eine Art in sich versunken, die wie ein Wachkoma wirkte. Wir saßen auf der Bank, so dicht nebeneinander, dass sich unsere Arme berührten, und verfolgten die Gespräche der Paare, mit denen wir gekommen waren, nicht.
Mir ist unklar, aus welchem Impuls wir uns einander zuwandten. Klügere als ich versuchen immer noch zu erforschen, was Menschen aneinander interessiert. Frühkindliche Prägungen oder die Ablehnung frühkindlicher Prägung – wir werden es irgendwann herausfinden. In jenem Moment handelten wir einfach und befanden uns, soweit ich von mir sprechen kann, in einem geschlossenen Raum miteinander, in dem es ruhig war und auffallend
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