Der Mann schlaeft
der Sprache, die seine Enkelin auszeichnet,verfügt er jedoch über ein reiches Vokabular, das er offenbar bisher nie aktiv eingesetzt hat. Ich nicke, und wiederum schweigend verlassen wir die Wohnung. Draußen hat der Regen so plötzlich aufgehört, wie er aufgetaucht war. Wir gehen durch die feucht dampfende Nacht, die ausschließlich aus Schlingpflanzen zu bestehen scheint und aus Aureolen, die die Laternen in der Feuchtigkeit bilden, den kurzen Weg zu meiner Wohnung. Der Masseur deutet an, dass er vor der Tür warten wird. Und ich gehe zum letzten Mal die steilen Treppen hinauf, um mich zu verabschieden.
Damals.
Vor anderthalb Jahren.
Es war mein dritter Sommer im Tessin.
Das Haus schmiegte sich an die Jahreszeit, der Fuß glücklich auf dem kalten Steinboden, das Innere angenehm temperiert durch die dicken Mauern, die Fenster geöffnet und die Insekten in geradezu übermütiger Laune. Nachdem der Mann das Haus verlassen und ich nichts zu tun hatte an jenem Tag, war ich in den Ort gefahren, um mich ein wenig überlegen zu fühlen bei der Beobachtung unförmiger Touristen. Zugegeben, ein billiges Vergnügen, das aber nie seinen Zweck verfehlte. Wer sieht sich nicht gerne mit seinem Lebensentwurf im Recht.
Es gab immer wieder Momente, in denen ich erstaunt war von meinem Mut. Mit einer Tüte voller Lebensmittel, die ich in geschmeidigstem Italienisch gekauft hatte, in einer Touristenhochburg sitzend, wissend, gleich würde ich in mein Haus zurückgehen, in dem man von all dem Elend nichts sah, nichts hörte, außer der freudigen Erregung trächtiger Mücken!
Wüsste man es doch nur von Anfang an, wie rührend albern jeder Plan im Leben ist, dachte ich, das Auge ein wenig matt. Dann hätte man all die Stunden, die man verbringt mit der Erstellung von Listen, auf denen man Vor- und Nachteile einer Entscheidung aufzeichnet, und mit dem Sinnieren darüber, was sein würde und wie es aussehen sollte, das Leben, später, und all die unglaublich wichtigen Entscheidungen zum Grillen von Innereien verwenden können.
Das kann sich doch keiner vorstellen, wie er sich in zehn Jahren fühlen wird, oder auch nur in fünf, und was sind das für Menschen, die mit zwanzig zu wissen glauben, wo sie ihren Lebensabend oder auch nur den Urlaub in einem Jahr verbringen möchten.
Irgendwann hatte ich verstanden, dass meine Wünsche, meine Haut, meine Ideen, mein Befinden sich mit jedem neuen Jahrzehnt komplett ändern würden. Bevor der Verfall sichtbar einsetzte, mit Ende dreißig, wenn man sich gegen alles wehrt, was einen an die eigene Vergänglichkeit erinnern könnte, wenn man sich betont jugendlich kleidet und mit älteren nur verkehrt, um sich jünger zu fühlen, war es mir fast als Grund für einen Selbstmord erschienen, über vierzig zu sein.
Kurze Zeit später war nichts von dem eingetreten, was ich befürchtet hatte. Mich interessierten die ausbleibenden Blicke zwanzigjähriger Knaben nicht mehr, und ich war noch nahe genug an dieser Altersgruppe, um mich zu erinnern, wie einmalig man sich da fühlt. Wie man die Welt für sich erfindet und sich verkleidet; alte Säcke wie mich, wenn überhaupt, mit der Idee mustert, völlig unverstanden zu sein. Und ich zuckte nur die Schultern und dachte, das ist jetzt die dritte Generation kleiner Punker mit verblödeten Ratten auf der Schulter, die mir in meinem Leben begegnet.
Erstaunlich, wie falsch ich mit all meinen Vorstellungen gelegen hatte. Dass man die tiefe Ruhe, nicht mehr als Sexualobjekt zur Verfügung stehen zu müssen, irgendwann genießt, war mir nicht klar gewesen. Ich war weit entfernt davon, mich gehenzulassen, zu verwahrlosen und zu verfetten. Ich hielt mich schlank, färbte mein Haar, so wie ich auch meine Zähnewarten ließ, doch ich war an der Wirkung nicht mehr interessiert, was von Vorteil war, denn meine Erscheinung löste keinerlei sexuelle Impulse bei Männern mehr aus. Das war mir sehr recht, wobei diese große Gelassenheit vermutlich einzig darauf basierte, dass ich einen Menschen gefunden hatte, der mich nicht allein sein ließ. Auch dieser Zustand war völlig entfernt davon, wie ich mir das Leben mit einem Geliebten vorgestellt hatte: Unbedingt in zwei Häusern, die sich nebeneinander aufhielten, weil ich modern war und dachte, man brauche doch seine Freiräume und müsse sich gegenseitig besuchen, das würde den Respekt voreinander stärken. Dass man Respekt nicht durch getrennte Wohnungen erzeugen kann, war mir damals noch nicht klar. In meinem
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