Der Mann schlaeft
in Tokio. Urlaub wovon? hatten wir uns noch leise gefragt, zu Hause, da unser Leben kein endloses Fest war, jedoch durchaus einem Mittagsschlaf in der Hängematte glich. Der Mann ging jeden Tag seinem holzverarbeitenden Beruf nach für ein paar Stunden. Ich beschrieb die Raffinessen von Toastern, doch die weitaus meiste Zeit verbrachten wir am See, in Fischrestaurants, in Hängematten, Liegestühlen, an Flussläufen und im Bett.
Und dennoch hatten wir einen Urlaub gebucht, in einer übertrieben feuchten Nacht, mit Basho-Haikus und Bildern im Internet, Teehäusern in Kyoto, und schon hatte ich Tasten gedrückt und Kreditkartennummern eingegeben.
Wir waren beide noch nie in Japan gewesen und wollten auch nicht wirklich hin, wie wir im Flugzeug feststellten, aber leider erst nachdem es bereits angerollt war. Als wir erstaunlicherweise gelandet waren und am Leben, saßen wir, wie erwähnt,in einem Taxi in Tokio, rollten über die von Bildern bekannten, auf fünf Etagen übereinandergebauten Schnellstraßen in ein befremdliches Hotel. Es glich von außen einem dieser abspritzbaren französischen Billigkettenteile, die meist zwischen zwei Autobahnauffahrten liegen, und wann immer ich an einem solchen Kasten vorbeigefahren war, früher, sah ich mich riesige Wodkaflaschen in ein Zimmer tragen, auf dem Doppelstockbett sitzen, erst oben, dann unten, erbrechen, in der Flüssigkeit liegen und verenden.
Dieses Hotel war eine andere Geschichte. In einem teuren Viertel gelegen, obwohl es Tokio vermutlich an billigen Vierteln mangelte, war es livriert und von erschlagender Formvollendung.
Das Zimmer erinnerte mich an eine Schiffskabine; ohne dass ich mich jemals in einer aufgehalten hätte, witterte ich die unbedingte geistige Nähe des Zimmers zu einer Unterkunft, die irgendwo schwamm. Alles war beige und hellbraun, aus Plastik, in erstaunlich anthroposophischer, eckenloser Manier. Es gab kaum Platz, vermutlich hatte das Zimmer nicht mehr als acht Meter im Quadrat, die waren aber hochfiligran ausgenutzt und bestachen durch eine wunderbare Sicht über die Stadt, die ohne erkennbare Kontur fünfundzwanzig Stockwerke unter uns lag. Das Bett glich einer großen Kajüte, in die Wand eingefasst, das Fenster direkt davor, sodass man mit dem Gesicht am Glas schlief, die Dusche reinigte sich selbst, und vermutlich tat das Zimmer dasselbe, bei Nacht. Es rollte sich zusammen und klopfte sich aus.
Urlaub meint für die meisten, mich eingeschlossen, an unvertrauten Orten möglichst schnell vertraute Gefühle wiederherzustellen.
In den kommenden zwei Wochen verließen wir das Zimmer täglich und schlugen zaghaft größer werdende Zirkel um das Hotel. Wir liefen um den Block, holten uns Suppe, mit der wir auf Bordsteinkanten saßen, weil man in Tokio nicht viel herumsitzt und es an entsprechenden Unterlagen gebricht. Nach zwei bis drei Stunden Außenaufenthalt waren wir erschöpft, wegen der Menschen, der Geschwindigkeit, der Luft, der Fremdheit, die ermüdete, und gingen wieder in unser Bordzimmer. Wir saßen im Bett, lasen, schauten aus dem Fenster, schauten verstörendes japanisches Fernsehen. Unsere erste gemeinsame Reise war in jeder Hinsicht gelungen. Dem Mann wohnte, wie auch mir, absolut keine Neugier inne. Er wollte nichts besichtigen, studierte keine Metropläne, schlug sich nicht mit Reiseführern herum und mit anstrengenden Tagesausflügen. Ich mochte fremde Orte gerne, solange ich mit ihnen keine großen Verbrüderungsszenen vornehmen musste. Wenn es mir gelang, ein sympathisches Café zu finden, ein Hotelzimmer mit feinem Ausblick und eine Steckdose für meinen Tauchsieder, um mir Tee zuzubereiten, und ein gutes Restaurant im engen Umfeld des Hotelzimmers, war ich völlig zufrieden. Jemanden neben mir zu wissen, der meine stillen Vorlieben teilte oder nicht auf eigene bestand, schien mir an ein Wunder zu grenzen.
Während wir unsere Runde um das Hotel drehten und jeden Abend dasselbe Restaurant aufsuchten, dachte ich an frühere, in hohem Maße gescheiterte Versuche, mit anderen Personen zu verreisen. Die Verspannungen, die aus nicht eingelösten Erwartungen entstanden, das schweigende Sitzen in holzverschalten Frühstücksräumen, die Sonne, die immer zu hell war, das Kauern in Ausflugsbussen, um schwitzend Tagestourenzu völlig uninteressanten Steinhäufchen zu unternehmen, um die mitreisende Personen gegebenenfalls herumsprangen und heisere Schreie ausstießen: »Sieh nur, ein Steinhäufchen, wie schön es ist!« Ich
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