Der Mann vom CDT
Weg zur Stätte der Dritten Prüfung führte durch eine schmale Rinne und kam auf einem nackten Felshang heraus. Fünfzehn Meter entfernt erhob sich ein steiler, plateaugekrönter Felsen, der mit der Hauptmasse des Berges durch ein gewundenes Felsband verbunden war, das etwa 15 Zentimeter breit war bis auf eine Stelle in der Mitte, wo es sich zu einer Messerschneide verengte. Dir Blash lief munter über die schmale Brücke und betrachtete dabei rundum die Landschaft.
»Wundervolle Aussicht, was, Retief?« rief er über die Schulter zurück. »Sieh sie dir gut an, vielleicht ist es das letzte, was du siehst. Was jetzt kommt, hat schon manchen starken Tsugg gebrochen.«
Retief setzte vorsichtig einen Fuß auf den schmalen Steg. Er war stabil. Dann richtete er seinen Blick auf die Plattform auf der Felsspitze und ging rasch hinüber.
»Und jetzt«, sagte Dir Blash, »kommt die Dritte Prüfung. Möchtest du noch einen Augenblick mit deinen Heimatteufeln in Verbindung treten – oder was immer ihr Außenweltler verehrt –, bevor du antrittst?«
»Vielen Dank, ich bin in bester Verfassung, was das betrifft«, erwiderte Retief.
»In diesem Fall …« Dir Blash deutete mit dramatischer Geste auf einen flachen Stein, der auf zwei quadratischen Steinblöcken lag. Die Platte befand sich etwa dreißig Zentimeter über dem Boden. »Spring über den Stein!« befahl der Unterhäuptling. »In einem einzigen Sprung, wohlgemerkt!«
Retief betrachtete die Hürde von verschiedenen Seiten, bevor er seinen Standort davor wählte.
»Ich sehe, daß du zögerst«, höhnte Dir Blash. »Hast du endlich Zweifel an deinen Fähigkeiten bekommen, Terraner?«
»Letztes Jahr hat ein Kollege von mir fünfzig Namen auf der Beförderungsliste übersprungen«, erklärte Retief. »Kann ich da weniger tun?« Er stand da, mit geschlossenen Füßen, und hüpfte über die Hürde. Dann drehte er sich um und hüpfte wieder zurück.
Einen Augenblick lang herrschte staunendes Schweigen. Dann brach großer Tumult aus. Dir Blash zögerte nur kurz, dann stimmte auch er in die Hodirufe ein.
»Gratuliere, Dir Retief!« bellte er und sdüug dem Terraner auf die Schulter. »Ich nehme an, daß ein Außenweltler von deinen Fähigkeiten jeden in Verlegenheit setzen könnte, aber jetzt bist du wahrhaftig ein Tsugg der Tsuggs und eine Zierde unseres Stammes!«
8.
»Bemerkenswert«, sagte Hoobrik der Ungehobelte, während er sich eine Handvoll zuckerüberzogener grüner Oliven in den Mund stopfte. »Laut Blash hier hast du die Große Prüfung bestanden wie ein geborener Tsugg! Vielleicht behalte ich dich als Leibwächter, Dir Retief, sobald ich die Wahl gewonnen habe.«
»Aus eurem Munde, Eure Wildheit, ist das ein großes Lob«, entgegnete Retief. »Wenn man bedenkt, daß ihr bereit seid, euch bedenkenlos als Kandidat zu offerieren!«
»Was gibt’s da zu bedenken?« fragte Hoobrik. »Nachdem meine Jungs mehr Wähler zusammengetrommelt haben, als die Opposition aufbringen kann, ist der Weg für mich frei, mir meine Taschen zu füllen, so gut ich kann. Dieser Aussicht sehe ich mit Gelassenheit entgegen.«
»Gewiß«, meinte Retief. »Aber zunächst müssen da einige Riten überstanden werden. Da gibt’s Pfiffe-Verhindern, Baby-Küssen, Schonzeit-Absitzen und Verleumdungen-Anhören, sowie eine beträchtliche Menge an Mit-Besorgnis-betrachtet-werden.«
»Hmm.« Hoobrik rieb sich nachdenklich das Kinn. »Sind diese Riten den Prüfungen für Tsuggschaft gleichzusetzen, Retief?«
»Vermutlich sind sie sogar noch schlimmer«, versicherte Retief dem Häuptling ernst. »Ganz besonders, wenn man einen indianischen Kriegshelm trägt.«
»Auf geht’s!« Hoobrik schlug seinen Krug auf den Tisch. »Ein Tsugg fürchtet weder Mann noch Tier!«
»Aber habt ihr je einem Quorum von weiblichen Wählern gegenübergestanden?« entgegnete Retief rasch.
»Nein – aber meine Jungs werden sämtliche Opposition niederreiten«, erklärte Hoobrik entschlossen. »Ich habe bereits mit gewissen Fünfäugigen Außenweltlern geheime Abmachungen getroffen, mich mit so vielen Stimmzetteln zu versorgen, wie ich benötige, daß alles ganz legal und ordnungsgemäß ist. Sobald ich erstmals im Amt bin, kann ich dann in aller Ruhe zu einer ordentlichen, geschäftsmäßigen Ausbeutung übergehen.«
»Aber bedenkt«, warnte Retief, »man wird von euch erwarten, in der vordersten Reihe eurer Partei zu stehen – auf dem Präsentierteller, meine ich –, zumindest während der ersten
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