Der Mann von Anti
Auskleiden. Wandlereinschaltung. Erreichen der Kennziffern. Transport ins Reisezimmer. Narkoseinjektion. Schließen der Zylinderschalen und so weiter und so fort bis zum Bad nach dem Test und dem Zeitpunkt, zu dem die VP das Gebäude verließ.
Ich versuchte es noch mit anderen Daten, ermüdete aber bald. Wenn mich eine Aufgabe überfordert, werde ich wieder zum Kind. Ich kritzele auf Blättern, erinnere mich irgendwelcher Begebenheiten, trauere Versäumtem nach und – summe etwas.
Zerstreut nahm ich das Zeitprotokoll wieder zur Hand. Eigentlich war alles wie bei einem Theaterstück. Vorbereitende Szenen, dann erscheint die Hauptperson; es kommt zum Höhepunkt (Sieg? Katastrophe?). Darauf Spannungsabfall, Ausklang und Schlußbild – meist mit Glanzworten (… denn er hätte, wäre er hinaufgelangt, unfehlbar sich höchst königlich bewährt ).
Im nachhinein erschien mir auch mein Leben so, in Abschnitten, symmetrisch angeordnet. Aber meist war der Ausklang oft ein böses Ende, kürzer als der Beginn… Wie sah es eigentlich beim Test damit aus? Immer noch als Kind, spielerisch, verglich ich die Zeiten: Entkleiden – Ankleiden, Einschalten – Ausschalten, alle symmetrisch äquivalenten Handlungen.
Und dann wurde ich hellwach. Die Transformationszeiten. Hinführung der Kennziffern zu denen der Vergangenheitsperson – und nach Abschluß des Versuchs Rückführung auf die alten Werte. Die Rückkehrzeit war um eine Winzigkeit länger, gerade noch meßbar, aber statistisch sicher, wie ich bald feststellte.
Es dauerte länger zurückzukehren…. Was bedeutete das? War es eine Anomalie? Tagelang schlug ich mich damit herum. Aber schließlich beschloß ich, nichts zu sagen, nichts zu tun. Ich hatte ihn gespürt, diesen ersten Hauch der Ungeheuerlichkeiten, die auf uns zukamen.
Eines trüben Abends flossen in mir all dies Ungereimte, die Ahnungen und Abneigungen zusammen in einen einzigen Wunsch: Weg mit diesen Maschinen. Ich verspürte keine Neugier auf die Vergangenheit in persona. Einzudringen in die Gedanken, Gefühle, Stimmungen, in die geheimsten Regungen eines anderen, drin sein in ihm, ihn von innen beobachten – war das moralisch zu rechtfertigen? Andererseits, man sollte nicht zu sensibel sein. Die Leute waren tot, oder ihr Einverständnis lag vor. Trotzdem…
Zugegeben, besser konnte man wohl nicht mit den Gefühlen der Menschen aus vergangenen Zeiten vertraut werden. Abgesehen von Suchtips für historische Funde.
Aber muß denn alles optimal sein? Nichts ist doch zu gewinnen ohne Verlust. Und die Verluste konnten ungeheuer sein. Was verbarg sich hinter der Zeitdifferenz, die ich entdeckt zu haben glaubte? Ich wußte nicht, woher Gefahr drohte, deshalb schien sie mir überall zu lauern, selbst in harmlosen Dingen. Das brachte mich auf.
Nun hatte ich weder das Recht noch die Macht, diese Experimente zu untersagen. Aber nicht mittun, das konnte ich. Ich konnte mich weigern. Und warnen. Aber vorsichtig, sonst geriet ich in den Ruf, eine Unke zu sein.
Anne schwieg lange, als ich ihr alles anvertraute. Schließlich meinte sie, daß sie mich zur Not verstünde, aber für sich keinerlei Verpflichtung daraus ableite. Sie fürchte die Experimente nicht und beteilige sich daran. Und den anderen sage sie nichts. Mochten sie von selbst darauf kommen.
Das einfachste wäre ja: weggehen. Wie es schon andere getan hatten. Aber Anne würde nicht mitkommen. Und ich wollte Anne nicht verlieren. Also blieb ich. Aber ich zog mich allmählich vom Institutsleben zurück. Trieb private Mikroforschung. Der Form halber hatte ich gegenüber der KOMMISSION eine Erklärung abgegeben – mit der Bitte um Diskretion.
Eines Abends kamen sie. Alle vier und ein Vertreter der KOMMISSION dazu. Ute küßte mich unter Lachen, sie sähe so wenig von mir. Torsten hatte sich braunbrennen lassen und tat mächtig aufgeräumt. Heiner drückte Anne und mir schweigend die Hand und stellte die Frau aus der KOMMISSION vor. Wir tranken Polysaft, und keiner wollte mit der Sprache heraus. Da half mir nur die Flucht nach vorn.
Es tut mir leid, ich mag die Zeitmaschinen nicht. Und möchte doch bei euch bleiben. Ja, so einfach ist das und doch unmöglich. Wenn es irgend geht – bitte fragt nicht nach Gründen. Aber vielleicht darf ich einen Kompromiß vorschlagen: eine Nebenaufgabe am Institut, und ich bin’s zufrieden.
Torsten: Du ja. Aber wir?
Die KOMMISSION: So geht es nicht. Wir wollen informiert werden. Wir müssen auswerten.
Anne: Dieter, ich
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