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Der Mann von Anti

Der Mann von Anti

Titel: Der Mann von Anti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ekkehard Redlin (Hrsg)
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Lakka mit großen, roten Ornamenten gehüllt. Das ist merkwürdig. Im allgemeinen kleiden sich alte Leute nicht so. Als sie näher kommen, erkennt man sie. Ihre Gesichter. Sie gleichen Masken. Als seien alle Leiden der Welt in sie eingefroren. Aber – ihre Haut ist glatt. Keine Runzeln, kaum Falten – irgendwie jung.
    Da bleiben sie stehen. Mit einer müden, fragenden Bewegung zeigt der Mann auf eine der Bänke. Hilflos legt die Frau den Arm um ihn. Er stützt sie. Dann setzen sie sich. Mechanisch streichelt er ihre Hand. Sie lassen die Sonnenschutzständer ausfahren. Nun sieht man ihre Gesichter nicht mehr. Mühevoll sucht der Mann etwas in seinen Taschen. Sie sprechen kein Wort.
    Das waren einmal junge Menschen. Ute und Torsten. Sie verunglückten bei einer Zeitreise.
Ich bin Dieter. Der letzte Tag, an dem ich Ute und Torsten im
    Park sah, liegt nun ein Jahr zurück. Früher arbeitete ich in einer Forschungsgruppe von fünf Personen am Institut für Geschichte und Prognostik. Ute und Torsten gehörten dazu. Ferner Anne und Heiner. Anne lebt mit mir zusammen. Wir haben zwei Kinder. Ute mochte weder Heiner noch Torsten verlieren. Und beide liebten sich auch, wie es schien. Auch Ute hatte zwei Kinder, von jedem eins.
    Über Ute könnte man stundenlang erzählen. Ich erinnere mich an die Sache mit den Mikroanalysen. Wir untersuchten damals alte Briefkuverts. Es mag seltsam klingen, aber an der Art, wie sie geöffnet worden waren, bezogen auf den Absender, wollte Torsten auf den Gemütszustand der Empfänger schließen. Darüber hatte er eine Theorie; in ihr ging es vornehmlich um Rißspuren.
    Ute hielt nicht viel davon. Eines Tages kam sie mit einem Kuvert und wies triumphierend auf Rißspuren, die es nach seiner Theorie eigentlich nicht hätte geben dürfen. »Gestehe«, sagte Torsten scherzhaft, »die Risse hast du selber gemacht.« Ute war auf einmal nicht wiederzuerkennen. Sie tobte, schlug auf Torsten ein – Anne mußte sie wegbringen.
    Immer wenn es zu solchen Auseinandersetzungen gekommen war, ging sie kurzerhand zu Heiner. Er verstand es, sie zu besänftigen, er war der ruhigste von uns. Alles, was er sagte, hatte er wohl vorher dutzendemal durchdacht. Auch schien er goldene Hände zu haben. Was er anfing, gelang. Er fing nicht viel an, doch Ute inspirierte ihn bisweilen.
    Anfangs litt Torsten sehr unter Utes Abschieden. Einmal, es war schon spät, kam er zu uns und sah Anne mit hilflosen Blicken an. Und Anne verstand ihn. Sie bat mich stumm, in meine Wohnung zu gehen. In dieser Nacht – in dieser Nacht mag Anne ihm Geliebte und Mutter zugleich gewesen sein.
    Damit will ich nicht sagen, daß wir ein ungewöhnliches Team bildeten. So oder ähnlich lief es bei vielen. »Im Team intim« – das klang einleuchtend, doch betraf es nur die Oberfläche. Nein, der explodierende Fortschritt, die hinterherhinkende Weiterbildung, mit diesem Schreckgespenst wurde man anders nicht fertig. Ein Nebeneinander von Privatsphäre und Arbeit – unmöglich! (Auch die Leitungstätigkeit war nicht starr. In den meisten Gruppen ging diese Funktion der Reihe nach von dem einen auf den anderen über. Das galt für alle – oder fast alle.) Wem die Vereinigung nicht gelang, innerhalb eines Teams, der verließ es wieder. Es ging einfach nicht anders. Gewiß, es gab noch Auswege, etwa im »Dorado«, dem Gebiet, das man Abenteurern individualistischer Prägung überlassen hatte, unter Höchstbelastung zu schaffen (und dabei auf Hochleistung zu hoffen) oder sich von der Weltregierung »Claims« abstecken zu lassen, Probleme, die man während einer gewissen Zeit allein bearbeiten durfte. Aber das taten nur Außenseiter.
    Anne überredete Torsten zu einer Gruppentherapie. Schließlich überwand er seinen melancholisch-eifersüchtigen Zustand. Ute hatte ich die ersten Warnzeichen betreffs der Zeitreisen zu verdanken. Wir mußten nacheinander in einen Tiefseetaucher schlüpfen, nur für zwei Monate, so daß keine Erinnerung zurückblieb. Bei Ute blieb aber was. Sie war völlig verstört. Erst schloß sie sich ein, tagelang. Wir glaubten schon, sie säße wieder am Elektronikum, an dem sie unglaubliche Dinge zu komponieren pflegte, die kaum jemand – nicht einmal sie – reproduzieren konnte. Das traf aber nicht zu. Wir waren ratlos.
    Schließlich nahm sich Anne ihrer an. Nachdem sie bei ihr keinerlei Tiefseeabneigung feststellen konnte, rekonstruierte sie aus Utes Ekelgefühlen, die bis zum Brechreiz gingen, den Wahrscheinlichsten Grund:

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