Der Mann von Anti
– ändern? Das… das ist ja Wahnsinn.«
Anne umfaßte mich wild: Aber wir müssen was tun!
Was tun? Ich könnte Annes These überprüfen, das Ende der Beziehungen zwischen Lars und Maren. Darauf hätte man eher kommen müssen. Man billigte mir bei der Suche sogar einen Mitarbeiterstab zu. In den Neunzigern war alles Material, was irgendwie existierte, kurz gespeichert worden. Der Computer suchte unter »Lars« und unter »Maren« von 1955 bis 1970. Da es sich wahrscheinlich um Handschriftliches handelte, dauerte das ziemlich lange. Mit dem so vorselektierten Material hatten wir mächtig Arbeit. Die Maschine konnte nichts Neues mehr herausfinden; wir suchten selbst weiter.
Das Ergebnis: Mehreres konnte zu einer Art Tagebuch von Lars zusammengesetzt werden. Der Altersanalyse nach – Lars hatte Marens Brief nämlich in zeitlich umgekehrter Reihenfolge eingeordnet – hatte er es erst geschrieben, nachdem die Beziehungen zu Maren abgebrochen waren.
Ja, Anne behielt recht. Maren und Lars waren auseinandergegangen.
Torsten las das Tagebuch allein. Eines Nachts videophonierte er, er erinnere sich schlagartig an manches – er komme morgen.
Das erste: entsetzliches »Bonmot« eines Professors, er hätte Partei und Regierung schon seit zwanzig Jahren treu gedient. Und: das fortwährende Zitieren der Aussprüche eines toten Mannes, der kraft seiner unbestrittenen Persönlichkeit und Verdienste – auch das zur Entropietheorie – auch alle seine Fehler zu Lebzeiten vergoldet bekommen hatte. Echte Überzeugung neben routinierter Heuchelei. Ein Witz: Der Heuchler leistete objektiv oft bessere Arbeit.
Die Sprechweise, noch immer nicht frei von Resten aus der Vergangenheit. Andererseits – schematische Verwendung von Sprachgewohnheiten anderer Völker aus »Ost und West«, die diese oft genug zum Lachen brachten.
Richtiges und Notwendiges in lächerlichem Gewande. Auch sozialistischer Dünkel.
Routiniert-unbeholfene Gestik von Jugendfunktionären. Reden ohne Information – erschütterndes Bild: Hinter sich hatte der Redner eine große Tafel, und die blieb leer. Seine Analysen – oft flach, die Wiederholungen dafür häufig.
Das Nachhinken in der Kritik von Entscheidungen. Das Gesetz, daß Entscheidungsfehler um so größer waren, je umfassender die zugrunde liegende Problematik, bekam Farbe.
Ein anderer Abend. Torsten: Da waren Felder… weite Felder… Ernte… Arbeit und träumen. Ich: Ernteeinsatz, meinst du das? Torsten: Einsatz, ja… das könnte sein. Aber… warum, warum beschäftigt es mich…Ich: Ein Mädchen…? Torsten: Mädchen… nein. Ich hatte ja sie… Maren. Ich: Bist du sicher? Ernteeinsatzromantik, Kartoffelfeuer? Torsten: Ja. Und es gab wohl mehr Regentage und Schlamm… als das… Ich: Kein Dorftanz? Torsten: Und… es gab… Versammlungen. Ich: Versammlungen? Waren die so verlockend, daß du dich ihrer erinnerst? Torsten: Einmal… fuhr ein Wagen vor. Ja, jetzt weiß ich es wieder. Ein »Gewi-Dozent« stieg aus. So nannten wir die Lehrenden der Gesellschaftswissenschaften von der Universität. Ich: Kamen die öfter? Torsten: Weiß nicht… glaube nicht. Ich kann mich nur an das eine Mal erinnern. Und… er sprach auch auf der Versammlung. Ich: Kam euch wohl mit Phrasen? Torsten: Nein. Klang vernünftig, was er sagte. Über Tagesfragen. Nur… was war es nur… Ich: Hing es mit dem Wagen zusammen? Was für ein Typ? Torsten: Kann mich nicht erinnern. Ich: Fuhr er ihn selbst? Torsten: Selbst? Nein… nein! Dieter, das war’s! Ich war »Protokollant«, ich mußte die wichtigsten Gesprächspunkte – nach der »Tagesordnung« – notieren und auch die Anwesenheit festhalten. Mit dem Dozenten war noch ein anderer gekommen, der gleich nach Versammlungsschluß den Raum wieder verlassen hatte. Ich fragte den Dozenten, wie dieser Herr hieße, da ich auch seine Anwesenheit vermerken wollte. »Ach, wissen Sie, den brauchen Sie nicht aufzuschreiben. Das ist nur mein Fahrer.«
Komische Aufklärungseinsätze. Komische Diskussionen. Komische Phrasen. Kurz, Subjektives genug für wissenschaftliche Untersuchungen, das heißt erste Forschungsergebnisse im Sinne der KOMMISSION.
Diese dunklen Farben überraschten Anne. »Immerhin geschahen doch damals, man erlaube die Phrase, tiefgreifende Veränderungen. Und es gab Elan, Träume, gab heftige Auseinandersetzungen mit bürgerlicher Ideologie. Wo bleibt denn dies alles?«
In der Tat, wo blieb es?
Ich machte die fehlende Remanenz dafür verantwortlich. Torsten aber
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