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Der Mann von Anti

Der Mann von Anti

Titel: Der Mann von Anti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ekkehard Redlin (Hrsg)
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Enttäuschung für sie.
    An der Gepäckaufbewahrung wollte unbedingt sie die sechzig Pfennige hervorkramen. Ihr Mädchen! In der Milchbar natürlich was Saures – Zitroneneisbecher. Ob du wohl über meine Schokolade gelächelt hast?
    Wir gingen eine Anhöhe im Volkspark hinauf. Und dann hielt ich dich wie im Fieber in den Armen. Die Nähe deines Körpers, dein Pullover – wie eine wahnsinnige lebendige Versuchung. Die Dunkelheit.
    Aber unsere Küsse an der alten verrosteten Tür im Regen waren stumm und verträumt wie das Antlitz der roten Kirche über uns in der Nacht.
Dann hast du geflüstert: ,Märchenprinz, mein Märchen
prinz…‘
,Maren, hat ein Prinz nicht immer etwas Fernes, etwas Un
wirkliches an sich?‘ ,Dann bist du eben mein Bub.‘ Sie küßte mich ungestüm, sah mir in die Augen. ,Komm, mein Bub.‘
    Dein Bub, Maren. Ob dir das genügt? Mir wäre es zuwenig. Aber ich sprach es nicht aus. Dein Bub, Maren, ja, der will ich wohl sein…«
    Das Ende im Tagebuch (vier Monate später, Torsten hat es wohl für immer verdrängt):
»… als ich meinen Arm um Marens Schulter legen wollte, blieb sie stehen, bückte sich, so daß mein Arm über sie hinwegglitt. Das geschah wieder und wieder, und jedesmal fiel ich ins Bodenlose. Schweigend gingen wir in den Wald.
,Es ist wie bei einer Funktion. Sie ist noch im Positiven, aber ihr Differentialquotient ist schon lange negativ…’
,Und wenn ich nichts von Mathematik verstehe; das, was du
gesagt hast, verstehe ich.‘
Die Dunkelheit kommt. Die gelben Laternen flammen auf. ,Lars, ich kann nicht mehr. Du hast etwas in mir zerbrochen.
Ich kann nicht mehr länger!‘
    Wo kommt denn der viele Lärm her? Überall raschelt es, Gesichter, quieksende Töne, ein Schrillen in der Luft, die vielen verklebten Kreise am Himmel… Was ist…? Da – war – doch – etwas… ja, da muß etwas gewesen sein… doch, da war etwas, ja…
    Die Kehle wird trocken. Unaufhörlich schwillt das Herz in mir, es schluckt und keucht. Bin – ich – das…
Und da bricht es unhemmbar aus mir heraus. Heisere, gequälte Laute, Tränen, schreiendes Flüstern, Selbstanklagen, Bitten, Flehen. – Es ist alles zu Ende, alles. Aber es hört nicht auf in mir. Endlich, endlich… die Ruhe des Kirchhofs. Ich kann wieder sehen. Ich höre wieder. Die Straße ist noch da. Ich bin – irgendwo. Es war nicht der letzte Abend dieser Welt. Das darf keiner je erhoffen.
Du schaust mich mitleidig an, aber wie einen Kranken und von fern. Das Unwiderrufliche in dir. Sie läßt sich umarmen. Sie bleibt ganz steif. Sie steht am Zaun. Aber keine Hoffnung steht am Himmel. Es ist alles zu Ende.
Mein Leben ist sinnlos –
,Du darfst das nicht sagen. Es gibt doch so viele Mädchen!‘
    Warum schreie ich nicht wie ein gequältes Tier? Es gibt noch andere Mädchen, das sagt sie! Ich hab’ nur dich. So wie dich gibt es nichts anderes mehr. Mein Rad halte ich. Nicht einmal geküßt hab’ ich sie mehr. Es ist alles zu Ende.
    Ich fahre und weine. Die Tränen kühlt der Wind, und sein Atem durchdringt alles Schluchzen und Rütteln. Die Lampe brennt nicht richtig. Ich kann sie nicht in Ordnung bringen. Ich schiebe, weine und fahre. Es ist nun alles zu Ende. Die Stadt. Am Horizont ist Feuer.
    Wie bin ich denn zum Markt gekommen?
Ein alter Schlager, die Töne wie zerlöchert und stumpf. Immer in mir oder draußen, ich weiß nicht. Heute nacht. Heute nacht geht der Traum meines Lebens zu Ende. Heute nacht. Johann Sebastian Bach. Gib mir die Orgel. Die rote Laterne von Sankt Pauli. Rote – Tote. Es ist alles zu Ende.
Maren.«
    Lars’ schwache Haltung lag auf der Hand. Seine Prinzipien, die hier offenbar wurden – Toleranz, Verständnis für Dritte, Hang zu Fiktionen und wahrscheinlich auch zu Grübeleien –, gaben Maren keinen Halt und begannen ihre Liebe abzuwürgen. Die Liebe dieser Zeit war verdoppelter Egoismus und Ungerechtigkeit in unseren Augen. Diese – diese Abkapselung, dieses »Die anderen sind mir gleichgültig, ich liebe dich«.
    Lars paßte mehr zu uns, wenn man so will. Maren dagegen: geradlinig, schmal, scharf, tief, intolerant, aber willensstark. Unterlag Lars ihrer Persönlichkeit?
    »Unterliegen… Persönlichkeit?« Anne stutzte. »Dieter, bisher ging es nach eurer schönen Theorie doch immer um den Vergleich von Vergangenheit und Gegenwart. Jetzt aber sagst du: Maren ist stärker als Lars. Die gehören aber doch beide zur gleichen Zeit! Welche der beiden möglichen Ursachen, das Lars-Maren-Verhältnis

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