Der Mann von Anti
modernen Verwendungszweck des Gebäudes.
Nur über die Natur der ausgestellten Objekte besteht keine völlige Klarheit. Im Grunde beginnt der Zweifel schon angesichts des Lächelns jener Frauensfigur im Kassenkabuff: Es sieht bedrohlich echt aus, wird jedoch von ungünstig reflektierendem Spiegelglas verzerrt , und ein bauchhohes Gitter verhindert das Nähertreten. Kassiert wird selbstverständlich gar nichts; die Kasse, altmodisch holzschnitz-gerändert, goldbronzelackiert, ist selber bloß Exponat, Kopie des Entrees von der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900. Das besagt ein Täfelchen rechter Hand, und auch: der Eintritt sei frei.
Mit dem Empfinden, verhöhnt worden zu sein, weil man unwillkürlich, aber sinnlos das künstliche Kassenlächeln mit einem Lächeln erwidert hatte, rüttelt man an dem Drehkreuz, das keinen Münzeinwurfschlitz aufweist. Ein Pfeil zielt auf einen schwarzgestrichenen mannshohen Blechkasten mit runder Öffnung, über welcher ein Schild zum Hineingreifen auffordert; sonst bliebe die Sperre geschlossen.
Ein Jux, scheint es. Rasch versöhnt und wieder zum Mitmachen bereit, schiebt man die Hand durch den messinggerahmten Kreis. Jahrmarktsbudenschauer flackert auf. Die eigene Hand wird von einer anderen gepackt und geschüttelt. Begrüßungsworte krähen aus einem verborgenen Lautsprecher. Drücken und Schütteln wollen kein Ende nehmen, so daß sich einem schier der Magen umdreht vor so viel unsichtbarer Herzlichkeit. Obwohl man zieht und zerrt, kommt man erst nach Ablauf einer Minute, einer halben Ewigkeit in dieser Situation, wieder frei; solange darf man auf einer von innen erleuchteten Glastafel etwas über mitteleuropäische Begrüßungsriten lesen: pazifizierende Geste ritterlicher Schwerthand, Wehrlosigkeit bietend wie fordernd. Endlich ein metallisches Klicken, Erlöschen der Schrift, die Hand wird freigegeben, die Sperre geöffnet; beim Durchschreiten kommt Zaghaftigkeit auf, ein plötzliches Bedauern, nicht doch lieber draußen im Sonnenlicht weiter spazierengegangen zu sein: stets wiederkehrendes Gefühl, nachdem man sich auf ein zwar alltägliches, doch nicht ganz abzuschätzendes Unternehmen eingelassen hat. Wieso ist man hier hineingegangen? Das Wohlbefinden draußen beim langsamen Dahinschlendern durch die anheimelnden Gassen war wohl groß genug gewesen, den Neid der Götter zu wecken. Nun klappt das Drehkreuz hinter einem zu.
Weitgeschwungene Halle, rund, zur Deckenmitte hin absteigend, wo eine mächtige niedrige Säule das gesamte Museum zu tragen scheint, mosaikgeziert, Evolution zeigend: vom Homo erectus über den Homo pithekanthropus bis zum Homo sapiens – den langen Weg zum weisen weisen Menschen, wie die Benennung meint. An der rundum laufenden, von Portalen unterbrochenen Wand stehen weitere schwarze blecherne Kuben, gleichartig dem Begrüßungsautomaten, auf Sockeln aus Beton, versehen mit Aufschriften wie GERUCHSSINN, GESCHMACKSSINN, GESICHTSSINN, GEHÖRSINN und TASTSINN.
Hier nun ist glücklicherweise das Alleinsein vorbei; hier und da bewegen sich Besucher durch das künstliche Licht, starren durch die Gucklöcher des GESICHTSSINN-Kastens oder haben Atemmasken vor den Gesichtern, deren Schläuche an den GERUCHSSINN-Apparat gekoppelt sind; meist reißen sie nach wenigen Augenblicken die Maske herunter, mühsam Luft holend, rot angelaufen, mit vorquellenden Augen und keuchend, daß man sich vor der Sauna besser amüsiere. Trotz des warnenden Beispiels probieren dabeistehende Besucher den Apparat selber aufs neue, ebenfalls mit sichtlicher Übelkeit kämpfend und schon Wartenden Platz machend: Das Bedürfnis nach Empirie ist zu übermächtig in den Menschen. Und noch der Ängstlichste unterzieht sich der Probe, stülpt furchtgrinsend das Plastgehäuse über Mund und Nase und drückt auf den entsprechenden Knopf (siehe Pfeil), schnuppert Ozon, Rosenduft, Flieder, Erde, Käse, Kot, Fäulnis und Pestilenz: konvulsivisches Würgen und Japsen, bis man sich so weit erholt hat, um den TASTSINN zu versuchen, von dem man doch anzunehmen geneigt ist, Erfahrungen mit ihm würden weniger scheußlich sein.
Textlich versprochen wird, sobald man die Hand durch die Luke schöbe – und schon kehrt Zaghaftigkeit zurück, wird unterdrückt, indem man sich Feigling schimpft –, würden Testgegenstände vorgeführt, deren Abbilder nach Ablauf des Experimentes eine Leuchttafel (siehe Pfeil) zeige: Ankündigung von Rätsel und Lösung, Verlockung, die Finger in den Rachen (doch
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