Der Mann von Anti
entbehrte Bad.
Nur die Haare wollten nicht recht sauber werden. Doch auch da wußte die Unsterbliche Hilfe. Sie spritzte einige Tropfen einer duftenden Flüssigkeit in die schwarzen Locken des Mädchens und half ihr, sie zu waschen. Scherua blinzelte ein wenig, etwas von diesen Tropfen war ihr ins Auge gekommen und juckte leicht. Das schwache Brennen ließ jedoch sofort nach.
Eine neue Handbewegung befahl dem Wasser, es möge aufhören zu strömen. Das Wasser gehorchte, und warme Luft umhüllte sie und trocknete ihr bald die Haare und den Körper.
Sie folgte der Unsterblichen wieder in das Gemach. Vor dem Spiegel ordnete sie die schwarzen Locken. Wie seidig ihr Haar geworden war! Nie war es so weich und geschmeidig gewesen. Aber die Götter vermochten das, sie konnten befehlen, und alles geschah.
Mit dem Kamm verstand Scherua selbst umzugehen. Sie warf nur einen traurigen Blick auf die unvergängliche Sklavennarbe und kämmte die Haare so über die Stirn, daß man dieses Zeichen nicht sah. Bald war sie mit ihrem Spiegelbild ziemlich zufrieden. So gut hatte Prinzessin Assur-tamar nie ausgesehen. Wie schön lebte es sich doch, wenn man tot war!
Am nächsten Morgen kam die Unsterbliche wieder, doch nicht mehr allein, ein anderer Gott begleitete sie. Wieder erwachte die Angst, doch Scherua beruhigte sich bald. Was konnte ihr geschehen – sie war ja tot!
Der Gott setzte sich auf das Fußende ihres Lagers, sie betrachtete ihn schüchtern. Wohl trug auch er das weiße Gewand der Höheren, doch irgendwie hatte Scherua das Gefühl, daß es ihm ungewohnt sei. Sie verbot sich rasch weitere unehrerbietige Gedanken.
Durch sein gelichtetes Haar schimmerte die Kopfhaut; sein Gesicht war schmal, er trug keinen Bart. Wie mochte er heißen? Und warum trug er keinen Bart – Götter taten das immer! Einen Unsterblichen, dem die Haare ausfielen und dessen Bart nicht nachtschwarz wallte, konnte sie sich nicht vorstellen. Ungöttlich? Sie erschrak ein wenig bei diesem Gedanken.
Plötzlich zuckte Scherua zusammen. Was hatte er gesagt? »Sei uns gegrüßt, fremder Gast«, wiederholte er, und sie verstand ihn. Sie verstand ihn! Jetzt konnte sie ihn anflehen, ihr
zu sagen, wo sie war und was ihr bevorstand.
»Wie ist dein Name?« fragte er weiter.
Wozu wollte er es von ihr hören? Die Götter wußten doch alles auf Erden.
»Scherua, Tochter des Rim-anum«, erwiderte sie zögernd und leise.
»Wie alt bist du?«
Das wußte sie nicht, denn niemand hatte es ihr je gesagt und keiner sie danach gefragt. Außerdem konnte sie nur bis zu zwei Handvoll zählen. Immerhin schätzte sie, schon viele Sommer erlebt zu haben. Viel: das hieß mehr, als die zwei Hände angeben konnten. Die beiden glaubten ihr das sicher unbesehen – der Augenschein lehrte es.
»Wir verstehen deine Sprache nur schlecht«, erklärte er weiter. »Sprich deshalb stets langsam und deutlich.«
»Ich… ich werde den Göttern… immer gehorchen.«
»Wir sind keine Götter«, bemerkte er kurz. »Du bist frei – keine Sklavin mehr. Du warst lange sehr krank, doch jetzt wirst du gesund. Bald kannst du aufstehen.«
Scherua hatte nur das eine behalten: Sie war nicht bei den Göttern?
»Wo bin ich?« Sie blickte die beiden angstvoll an. »Ich… muß ich wieder in den Palast zurück? Zu Eriba-adad?«
Er schüttelte den Kopf. »Es gibt ihn nicht mehr. Du bist frei.«
Sie atmete tief auf. »Dann bin ich also im Totenreich.«
»Du lebst«, sagte er. »Du bist nicht gestorben.«
»Aber der König… er hatte befohlen, mich zu töten! Ich weiß es doch, sie haben mich totgepeitscht!«
Daß der Gott dazu lächeln konnte, hatte sie nicht erwartet. Verwirrt lehnte sie sich zurück.
»Wenn du mit mir sprechen möchtest, so drücke darauf!« Er zeigte ihr einen schwarzen Stein, der aus der Wand hervorragte. »In wenigen Augenblicken werde ich dasein. Nur wenige bei uns können deine Sprache verstehen, ich beherrsche sie ein bißchen.«
»Die Göttin kann es nicht?« fragte sie ängstlich zurück.
Er schüttelte den Kopf, ohne etwas zu sagen. Sie begann zu weinen. Die Unsterbliche strich ihr sanft über die Haare, um sie zu trösten. Als Scherua nach einer Weile aufblickte, sah sie sich allein.
Nicht tot… und auch nicht bei den Göttern? Was ist mit mir geschehen?
Sie weinte sich in den Schlaf.
Nach dem Ankleiden trat Scherua zum Fenster. Gestern noch war es verhängt gewesen, und sie hatte nicht gewußt, daß da ein Fenster war. Nun stachen die Sonnenstrahlen wie Speere durch das Viereck
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