Der Mann von Anti
das Wochenende über einige Mitarbeiter aus unserem Institut. Herr Grau hat es so gesagt: »Sie gehören dazu wie jeder andere Mitarbeiter«, dabei bin ich nur einfacher Wächter. Trotzdem, achthundert Mark im Monat sind kein Pappenstiel, und im August kann ich mit Gehaltserhöhung rechnen.
Unser eigentliches Institut liegt am Nordufer. Wir betreiben Fischzucht. Herr Grau hat mir bei der Einstellung kurz davon erzählt. Fische und andere Wassertiere werden bei günstigen Temperaturen und exakt berechneten Futterzusammenstellungen in großen Bassins gehalten. Sie wachsen dann schneller heran, das Fleisch ist viel schmackhafter, der Gewinn liegt höher.
Vom letzten Bungalow, dicht beim Zaun, da kann ich die gelben Fischereischutzbojen sehen, mit denen der Nordteil des großen Sees abgesperrt ist. Ein Fernglas habe ich nämlich auch bekommen – nur für den Dienstgebrauch. Hinter den Bojen ist noch eine Sperre, aus feinmaschigen Stahldrahtnetzen, so hat mir Herr Grau gesagt, wegen der Freilandversuche. Dahinter liegen flache Schwimmkörper, dort wird Futter ausgelegt, ich glaube für eine neue Rasse von Sumpfbibern; die Tiere holen sich dort das Futter von den Pontons herunter. Aber das kann ich von hier aus nicht sehen.
Um den Parkplatz gehe ich nur eine Runde. Mit den Fahrzeugen habe ich nichts zu tun. Auch das Tor brauche ich nicht zu öffnen, wenn ein Wagen hereinkommt oder unsere Siedlung verläßt. »Das ist nicht Ihre Angelegenheit«, hat Herr Grau mir erklärt. »Wir haben dort eine doppelte Sicherung, zuverlässiger als jeder Mensch, am Außentor ein Lichtsignal, am Innentor wird das polizeiliche Kennzeichen elektronisch abgelesen.« Ich sehe mir das manchmal an, es klappt wie am Schnürchen. Die breiten Tore rollen zurück, geben den Eingang frei, und sofort hinter dem Wagen rollen die Tore wieder zusammen. Für die kleine Fußgängertür habe ich ein Kennwort, und der Hund, er heißt übrigens Arco, bellt zweimal kurz auf. Dann öffnet sich die Tür automatisch.
Neulich hatte ich einmal den Gedanken: Wozu werde ich hier eigentlich gebraucht? Herr Grau und die Gesellschaft für Fischereiforschung können meine Arbeit doch auch elektronisch erledigen lassen. Eigentlich wollte ich Herrn Grau deshalb schon fragen. Aber besser lasse ich das wohl. Der kommt sonst auf den Gedanken, meine Stelle einzusparen. Und wer möchte so’n Job verlieren? Ich jedenfalls ganz bestimmt nicht.
Nein! Ich werde mich nur um das kümmern, was mir von Herrn Grau gesagt wird. Alles andere geht mich nichts an. Die Menschen kümmern sich überhaupt viel zu oft um Dinge, die sie nichts angehen. Und dann wundern sie sich, wenn sie drinsitzen in der dicken Tinte, nachher.
Die Leute, die zu uns kommen, sind friedliche Bürger, manche bleiben eine halbe Woche, manche länger, viele nur eine Nacht. Mancher bringt sich auch ‘n Mädchen mit – oder auch zwei. Aber das ist nicht meine Sache. Für die Auswahl unserer Gäste ist nicht einmal Herr Grau zuständig. »Dagegen sind wir beide kleine Lichter«, sagt Herr Grau, und der muß es wohl wissen.
In meinem Bungalow habe ich sogar einen Fernseher, für Farbsehen natürlich, dazu einen Kühlschrank, ein gutgefedertes Bett, ziemlich breit, es würde auch für zwei reichen, aber Herr Grau hat mir sehr abgeraten, hier Besuche zu empfangen. »Und dann sind Sie ja wohl auch schon ein bißchen über das Alter hinaus«, meinte er. So alt fühle ich mich noch lange nicht, und bei der Köchin von der »Hütte« könnte ich bestimmt noch ankommen. Oder ob sie wirklich nur an den Hund denkt, wenn sie den mit Leber füttert?
Heute ist der achtzehnte Mai. Das Wasser im See ist schön warm. Ich war baden, zusammen mit dem Hund. Neufundländer sind gute Schwimmer, sie haben sogar Schwimmhäute zwischen den Zehen, und sie können auch Fische fangen. Ich habe das früher gar nicht gewußt. Herr Grau hat mir davon erzählt. Aber vor unserem Strand gibt es keine Fische, geangelt wird hier auch nicht, jedenfalls nicht nach Fischen. Was die feinen Herren in den Bungalows mit den Mädchen machen, ist meine Sache nicht.
Ich sehe nichts, ich höre nichts, ich weiß von nichts. Ich möchte mein’ Job behalten. Mir geht es gut.
Im April habe ich hier angefangen. Da war das Wetter noch naßkalt und windig. Und ich war fast zwei Jahre arbeitslos, die Unterstützung hatten sie mir längst gestrichen. Fürsorge bekam ich nicht, weil keine Dringlichkeit vorlag, ich hatte ja noch Vermögen und Besitz. Ich erinnere
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