Der Mann von Anti
dreioder viermal so groß wie der Kopf des Hundes, und das will etwas heißen! Solch ein Wesen habe ich noch nie gesehen. Ich habe hier überhaupt noch keine Krebse gesehen. Herr Grau hat mir gesagt, vor Jahren ist hier die Krebspest aufgetreten, und seitdem gibt es im See und den umliegenden Gewässern überhaupt keine Krebse mehr. Und solche Riesentiere, wie sie mein Vorgänger gesehen haben will, existieren nirgends auf der Welt. Von meinen Beobachtungen sage ich Herrn Grau also besser nichts. Er denkt sonst, ich hätte wieder Alkohol getrunken, und das hat er nun mal nicht gern, außer wenn er mich selbst dazu auffördert. Und er hat dann auch immer einen verdammt guten Tropfen in seinem Bungalow, der nur für ihn reserviert ist, und von dort fährt er meist direkt hinüber zum Institut, mit seinem Motorboot.
Wenn ich Herrn Grau nicht hätte und ab und zu einen Gang zu »Toms Hütte«, es wäre doch verdammt langweilig für mich. Nur der Hund, und der kann doch nicht reden. Oft spreche ich schon mit mir selbst und merke es nicht einmal. Alles Gute ist eben selten beisammen. Ich wollte meinen alten Arbeitskollegen Werner König mal nach hier einladen, der liegt auch seit einem Jahr auf der Straße, zweiundfünfzig ist er, aber Herr Grau möchte nicht, daß ich hier Besuche empfange. Die Direktion möchte es nicht, hat er mir gesagt. Aber zuerst hat er sich lang und breit von Werner König erzählen lassen, nicht genug konnte ich ihm da sagen.
Herr Grau hatte mich zu einer Besichtigung der Institutsgebäude am Nordufer eingeladen. »Sie haben doch noch nicht einmal unsere wichtigsten Einrichtungen kennengelernt«, sagte Herr Grau und hat mir alles gezeigt. Besonders lange sind wir bei den Krebsen geblieben. »Sehen Sie«, meinte Herr Grau, »es gibt doch Krebse bei uns!«
»Aber die sind kaum so lang wie meine Hand«, habe ich geantwortet, »und außerdem fressen sie nur Pflanzen, wie ich sehe«, denn sie wurden gerade gefüttert, hatten aber keinen großen Hunger, wahrscheinlich geht es ihnen zu gut hier. Es sah dort alles aus wie in einem Zoo. Aber die meisten Tiere waren in Hallen. Und es gab keine Besucher, außer Herrn Grau und mir. Und immer nur Fische, Krebse und Sumpfbiber. Nicht einmal Pinguine und Delphine haben sie hier. »Mit denen ist kein Geschäft zu machen«, erklärte mir Herr Grau, und er muß es schließlich wissen, er ist so eine Art Vertreter vom Direktor, und die Leute waren alle sehr höflich zu ihm. Mich sahen sie gar nicht. Nur ein älterer Herr, dem ich vorgestellt wurde, der sprach mit mir, wie es mir gefällt oder ob ich mich lieber verändern möchte und ob ich mit dem Dienst bisher zufrieden bin.
Als wir zurückkamen zur Siedlung, habe ich Herrn Grau zum Parkplatz gebracht, er wollte die Nacht in der Stadt bleiben. Im Wagen lag eine Zeitung, die »Abendpost«, Herr Grau hat sie mir geschenkt, wegen des Kreuzworträtsels. Auf Seite 2 war wieder das Foto von Redlich, und daneben stand:
»Todesfahrt eines Geistesgestörten. Zu einem tödlichen Verkehrsunfall kam es auf der Europastraße 4, als der aus einer Heil- und Pflegeanstalt entwichene Franz-Karl Redlich mit einem gestohlenen Personenkraftwagen aus bisher nicht geklärter Ursache ins Schleudern geriet und gegen einen Baum prallte. Der am 5. 6. 1919 geborene Redlich war sofort tot. Weitere Personen kamen nicht zu Schaden.«
Dieser Redlich muß also doch wohl den Säuferwahnsinn gehabt haben, wenn sie es schon in der Zeitung schreiben.
Heute ist der zehnte Juni. Ich bin müde und lasse einen Rundgang einfach aus, mache mich in einem der Segelboote lang, und der Hund kriecht zu mir und wärmt mir die Füße. Ein paar Regentropfen wecken mich eben. Über dem Wasser steht dünner Nebel. Das Nordufer ist nicht zu sehen.
Da, plötzlich sind sie doch wieder da! Nein, das ist jetzt keine Einbildung von mir, und ich bin ganz nüchtern. Nicht einmal eine Tasse Kaffee habe ich in den letzten vierundzwanzig Stunden getrunken.
Sie kriechen aus dem Wasser heraus und suchen den Strand ab. Das Boot, in dem ich mit dem Hund bin, liegt auf dem Strand, nur ein paar Meter hinaufgezogen.
Jetzt rücken die Biester die ersten Strandkörbe zur Seite und werfen sie um, andere ziehen zum Trocknen aufgehängte Badekleidung hinunter zum Wasser.
Ein oder zwei Minuten sind vielleicht vergangen, da sind alle Tiere wieder spurlos im Wasser verschwunden. Ich kneife die Augen zu. Ich muß mich geirrt haben! Ganz bestimmt!
Aber die Strandkörbe? – Und da!
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