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Der Mann von Anti

Der Mann von Anti

Titel: Der Mann von Anti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ekkehard Redlin (Hrsg)
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brach ab und sah beiseite.
Da habe ich ja was Schönes angerichtet mit meiner Einladung ins Kino, dachte ich. Anstatt sie aufzumuntern, habe ich Erinnerungen hervorgerufen, die sie wohl besser verdrängen sollte. Außerdem schien sie Minderwertigkeitskomplexe bekommen zu haben – kein Wunder bei diesem Höhlendasein.
»Wissen Sie«, sagte ich schließlich, »ein Kinobesuch allein – das ist so gut wie gar nichts. Nein, Sie müßten öfter mal weggehen: jede Woche mindestens einmal, heraus aus dem Haus, unter die Leute, vielleicht auch einmal ins Theater, oder einfach tanzen und sich amüsieren. Immer nur arbeiten, das ist was für Robots, aber doch nicht für uns. Und wenn es Ihnen nichts ausmacht – ich würde Sie schon mal begleiten, damit Sie keine Angst zu haben brauchen.«
Ihren Blick werde ich nicht vergessen. Dankbarkeit, Freude, aber auch Abwehr, ja Angst lagen darin. Doch sie antwortete nicht, sie hängte sich nur bei mir ein.
Nach einer langen Weile fing sie ganz unvermittelt zu plaudern an. Über Kleider, Einkaufsmöglichkeiten, Delikatessen; so als ob wir jahrelang miteinander befreundet wären. Als wir uns der Villa näherten, führte sie mich einen Umweg. Doch es half nichts, einmal mußten wir ja nach Haus. Bald ließ ihr Geplauder nach, sie wurde einsilbig. Der Abschied war nur noch ein Nicken.
Ich hätte ihren Gefühlsausbruch und den plötzlichen Stimmungswandel gleich richtig bewerten sollen… aber woher soll man das ahnen? Nein, nein, keine Ausflüchte! Mir hätte einiges auffallen müssen; unbedingt, wenn ich es nur sachlich betrachtet hätte. Doch ich war nicht mehr sachlich, ich begann mich für sie zu interessieren, und das hat mich in gewisser Hinsicht blind gemacht.
Offensichtlich wollte sie der Enge ihrer väterlichen Wohnung entfliehen, wollte leben, wollte nicht mehr einsam sein. Ich spürte es deutlich genug, und ich war nur zu gern bereit, ihr dabei zu helfen – natürlich nicht ganz selbstlos. Ich weiß nicht, an wen ich dabei mehr gedacht habe, an sie oder an mich. Wohl doch an mich.
Daß sie sich sozusagen an mich klammerte, weil sie unsicher war und nicht die richtigen Wertmaßstäbe besaß – wer wollte das einem Kunstwesen verübeln! Ich jedenfalls habe gewiß nicht das Recht, sie zu belächeln und gar zu verurteilen. Schließlich genoß ich es, daß keine Woche verging, in der wir nicht beide unterwegs waren. Schauspiel, Oper, Kino, Fernsehtheater, Sport, sie war unersättlich. Unter Menschen wollte sie sein, wollte sehen und hören, wollte nicht länger außen stehen.
Nur eines vermied sie: mit mir allein zu sein. Ich brauchte lange, um sie zu bewegen, mich an einen kleinen See zum Baden zu begleiten.
    Cora war kein Schwimmtalent, ich lachte herzlich über sie. Selbstredend scheute sie das Wasser nicht, aber sie liebte es auch nicht. Ich bemerkte es bald.
    Wir legten uns also auf die Wiese, um uns zu bräunen. Zuerst war sie ausgelassen wie ein kleines Mädchen und alberte herum. Dann aber wurde es ihr zu warm – ich schätzte es auf dreißig Grad und mehr –, und sie legte sich ein Handtuch über den Kopf. Müde und faul dösten wir dahin.
    Durch ein Handtuch kann man nicht sehen. Folglich konnte ich sie ungestört von oben bis unten betrachten. Zu beschauen gab es genug, und es war das erste Mal, daß ich mit ihr so allein war.
    Der hauchdünne Badeanzug – dreiteilig wie alle seit…zig Jahren – war der Mode entsprechend ebenfalls nicht eben undurchsichtig. Freilich, glasklar durfte nun auch keiner sein… aber es gibt ja Abstufungen und eben noch erlaubte Schliereneffekte…
»Genug gesehen?« murmelte sie.
     
Verflixt, konnte Cora denn Gedanken lesen?
    Moment mal, wie war das? Sie besaß… ja, natürlich, sie besaß einen dreistufigen Direktor! Wie hatte ich das übersehen können! Gerade ich!
    Die dreistufigen Direktoren sind doch verboten worden, weil sie instabil sind. Sie können in andere Formen umschlagen und einen gewissen Eigenwillen entwickeln. Stimmt, stimmt – nun ist mir alles klar. Dieser Wilton…! Als ob er das nicht gewußt hätte.
    Doch selbst wenn, hatte er auch an die Verantwortung gedacht, die er damit übernahm? Er verstieß gegen die offizielle Bestimmung, das war schon schlimm genug, weil ein Wesen mit dreistufigem Direktor wegen seiner Unberechenbarkeit zu einer Gefahr für die Umwelt werden kann; doch er versündigte sich vor allem an Cora selbst. Zu einem Rechenknecht hatte er sie erschaffen, einem universellen Handlanger, einem

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