Der Mann von Anti
Gerede, das über ihn umging, ist verstummt. Denn nach dem erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen auf Basis achtzehn hatten wir geheiratet. Und unser Ehrengast war der Mann vom Anti. Per Teleprojektion natürlich!
Klaus Wohlrabe
Korrektur der Vergangenheit
Im Jahre 1957 erschienen die »Sterntagebücher des Weltraumfahrers Ijon Tichy«. Ihr wirklicher Autor hieß Stanislaw Lem. Lem hielt in dem schmalen Band seiner Welt einen Spiegel vor, und zwar im utopischen Gewande – der erste Sputnik kreiste gerade. Der reisende Tichy war ein würdiger Nachfahre der Mikromegasse, Münchhausen und wie sie noch heißen mögen.
Man las die witzig erzählten Abenteuer mit Vergnügen. Die anschwellende Woge phantastischer Literatur begrub das Buch schließlich. Die Autoren dieses Genres phantasierten sich die Köpfe wund, um vor ihren übersättigten Lesern noch Gnade zu finden.
Im Jahre 2024 veröffentlichte der indische Kybernetiker Ramajindra einen Artikel, über den seine Leser den Kopf schüttelten. Er war auf Lems Buch gestoßen und hatte es in einem ganz bestimmten Punkte ernst genommen. Dieser Punkt betraf die sogenannten Doubles, die Tichy bei den Enteropiern in der vierzehnten Reise kennenlernte. Die Enteropier stellen von jedem ein Double, ein völlig identisches Individuum, her, das zunächst in Reserve bleibt und erst nach dem Tod des Originals dasselbe ersetzt. (Enteropien wird periodisch von einem tödlichen Meteoritenschwarm, dem Ström, heimgesucht.) Und Ramajindra schrieb nun, diese Lemschen Doubles könnten die Getöteten tatsächlich ersetzen, daß heißt, das Original würde weiterleben, wäre eine solche identische (das heißt im selben Augenblick; hierin muß Lem präzisiert werden) Reserve vorhanden.
Die Medizin war damals bereits imstande, sowohl Hirntransplantationen vorzunehmen als auch Nervenzellen künstlich herzustellen und in den Organismus einzusetzen. Das Handicap war nur, daß eine solche Operation die Individualität des Patienten beseitigte, so daß danach ein ganz anderer lebte, während jener tatsächlich gestorben war.
Die Tierversuche verliefen zu vollster Zufriedenheit, aber das half nichts. Glaubte man dagegen Ramajindra, so würden die unüberwindlich scheinenden Bedenken gegen Operationen solcher Art am Menschen auszuräumen sein.
Der Artikel brachte Ramajindra nicht nur Unverständnis und Spott, sondern auch Drohungen. Stimmen wurden laut, man müsse einem solchen Scharlatan und Demagogen Publikationsverbot erteilen. Es sei doch sonnenklar, daß sich am Tode eines Menschen nichts ändern würde, wenn anderswo zufällig noch ein Mensch existiere, der ebenso sei wie er.
Ernsthafte Gegenargumente kamen aus zweierlei Richtung. Die Praktiker warfen ein, vollkommen identische Menschen könne es doch wohl nie geben. Die Psychologen wiederum legten dar, daß ein solches Weiterleben nie nachweisbar sei. Wie solle man erfahren, ob der Tote im Double weiterleben würde? Sein äußeres Verhalten gäbe darüber keinerlei Aufschluß. Das sei Sache des Innenaspekts, und über den wäre nichts zu ermitteln.
In diese erhitzte Atmosphäre schlug Ramajindras zweiter Artikel ein wie eine Bombe. Ramajindra fragte: Haben zwei identische Menschen zwei (identische) Bewußtseine oder nur eines, ein gemeinsames? Um das zu entscheiden, führte er ein Gedankenexperiment vor. A und B seien zwei völlig gleiche Menschen, auch bezüglich der Umgebung und des Fakts, daß jeder vom anderen nichts wisse. B gelte als »Ersatzteillieferant«, unter A möge der Leser sich selbst vorstellen.
Ein Teil von A werde blitzartig – für A unbemerkt – vernichtet und das entsprechende Teil von B gleichfalls blitzartig – – wiederum für A unbemerkt – wieder an A angesetzt. Dann könne A nichts von dieser Operation merken, das heißt, sein Bewußtsein bliebe unberührt. Da das auch für den Grenzfall, daß A ganz vernichtet würde, zuträfe, so komme man zu der verblüffenden, aber logischen Schlußfolgerung: Wenn A blitzartig stirbt (für den Außenstehenden), dann lebt er in B weiter; A und B sind Träger ein und desselben Bewußtseins.
Gegen diese Deduktion des indischen Wissenschaftlers war nichts einzuwenden. Nur die Praktiker bezweifelten nach wie vor die reale Möglichkeit der Prämissen des Experimentes, nämlich der Identität von A und B und die Blitzartigkeit der Operationen, und machten sie zur Conditio sine qua non. Aber sie nörgelten nicht länger. Sie wandten sich an die Weltregierung. Dieses
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