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Der Mann von Nebenan

Der Mann von Nebenan

Titel: Der Mann von Nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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Männern, für die das Küssen nicht nur eine Vorstufe zum Sex, sondern eine eigene Kunstform ist.
    Jetzt sah es allerdings so aus, als würden sie sich nicht allzu lange beim Küssen aufhalten. Kleidungsstücke flogen nach allen Seiten, eines davon auf eine brennende Kerze. Kates Oberteil aus einer pflegeleichten Viskose-Elasthan-Mischung fing Feuer, brennende Stoffetzen fielen auf den Tisch. Nellis, nackt bis auf die Unterhose, griff nach einem Sofakissen und schlug auf den Qualm ein, dabei fegte er den Kerzenhalter, eine Vase und ein paar andere zerbrechliche Kleinigkeiten vom Tisch.
    Bobitt, der zusammengerollt auf dem Teppich geschlafen hatte, sprang maunzend hoch und schoß quer durch das ganze Chaos aus dem Zimmer.
    Nellis sah dem Tier entgeistert nach.
    Kate hockte barbusig auf dem Sofa und lachte, daß ihr die Tränen kamen.
    »Das war wohl nichts«, japste sie.
    Nellis erschlug das letzte Flämmchen, warf das Kissen auf den Boden und wandte sich ihr wieder zu.
    »Im Gegenteil, die Flammen der Leidenschaft schlagen hoch, wie du siehst.«
    Er entledigte Kate ihrer restlichen Kleidung. Im fahlen Licht der Morgendämmerung glänzte seine Haut silbern, als er sich über sie beugte und begann, mit der Zunge über ihren Körper zu wandern.
    Stück für Stück fiel der unsichtbare Panzer von Kate ab, mit dem sie sich in den letzten Monaten gewappnet hatte. Nur beim Laufen hatte sie ihren Körper gespürt, aber die Anstrengung hatte auch dem Zweck gedient, jede sexuelle Regung zu ersticken. Sex war untrennbar mit Bernd verbunden gewesen, und der Gedanke an Bernd schmerzte. Also hatte sie nicht mal an Sex denken wollen. Nun drängte die unterdrückte Leidenschaft mit aller Macht zurück in ihren Körper.
    Es war kurz vor sieben, als Nellis, übermüdet von der Reise und Jetlag-geschwächt, auf dem Sofa einschlief.
    Kate deckte ihn zu, stieg vorsichtig über die Scherben hinweg und schloß leise die Wohnzimmertür. Beschwingt und glücklich, todmüde und hellwach zugleich, lief sie die Treppe hoch, um ihren Sohn wachzuküssen.
     
    Später am Tag wußte Kate plötzlich, daß der Moment gekommen war, die Flöte zu stimmen.
    Das Stimmen war für Kate ein Initiationsritus, mit dem die Flöte aufgenommen wurde in die Welt der beseelten Instrumente. Der Vorgang war gleichermaßen physisch wie metaphysisch; es kam darauf an, millimetergenau zu arbeiten, aber es war mehr als nur ein technischer Ablauf.
    Sie stellte das Stimmgerät auf 440 Hertz ein und blies ein A. Der Zeiger schlug aus. Sie variierte den Luftdruck, spielte eine Folge von Tönen. Je nachdem, was das Gerät anzeigte und was ihr Ohr wahrnahm, korrigierte sie Form und Größe der Tonlöcher. Immer wieder überprüfte sie die kaum wahrnehmbaren Veränderungen im Klang.
    Sie geriet in jenen tranceartigen Zustand, den sie sonst nur beim Laufen erreichte. Nicht sie hörte die Töne, etwas in ihr hörte sie. Alles ging gut, solange sie sich ihrer Intuition überließ. Die einzige Gefahr war, daß ihr Kopf sich einschaltete.
    Als sie an jenem 8. August 1984 begonnen hatte, über den Rhythmus ihres Herzschlags nachzudenken, war ihre Niederlage besiegelt gewesen. Es war der Moment, in dem die Intuition sie verlassen hatte. Und mit ihr war das Vertrauen in ihre Fähigkeiten verschwunden.
    Sie würde wieder mehr auf ihre Intuition vertrauen, nahm Kate sich vor.

SIEBEN
     
    S ie genoß den Sex mit Nellis jetzt viel mehr als früher. Es war nicht mehr der erbitterte Kampf um Bestätigung, den sie sich in ihrer Jugend geliefert hatten. Damals diente Sex dazu, sich des anderen zu versichern, den eigenen Marktwert unter Beweis zu stellen, Macht auszuüben durch Hingabe oder Verweigerung. Heute war es der pure Genuß.
    Mit einem Seufzer des Wohlbefindens rollte Kate sich von Nellis herunter.
    »Wo hast du das alles gelernt?« kicherte sie. »Bei den Aborigines?«
    Nellis hatte den Arm um Kate gelegt und wühlte mit der Hand gedankenverloren in ihrem Haar.
    »Kate, was hältst du davon, hierzubleiben?«
    Überrascht stützte Kate sich auf die Ellbogen und sah ihn an. Sie hatte nicht erwartet, daß er sie das fragen würde. Jedenfalls nicht so bald.
    »Ähm, wie meinst du das?« fragte sie vorsichtig.
    »Ich meine, würdest du gerne weiter in diesem Haus wohnen?«
    »Du meinst … mit dir zusammen?«
    »Nein, das meine ich nicht. Ich werde von hier weggehen. Ich will dir das Haus verkaufen.«
    Kate setzte sich auf. Sie fror plötzlich und zog die Decke über der Brust

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