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Der Mann von Nebenan

Der Mann von Nebenan

Titel: Der Mann von Nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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widerspenstige Haar im Nacken gebändigt, die Füße in Laufschuhen einer völlig unbekannten Marke. Nicht besonders groß.
    Kate versinkt im Startblock. Im Kopf Leere, im Körper die Anspannung eines Raubtiers vor dem tödlichen Biß. Der Schuß fällt. Nicht sie läuft los, etwas in ihr läuft los. Sie bewegt sich synchron zu den anderen Läuferinnen, Teil einer Präzisionsmaschine.
    Kates Wahrnehmung entfernt sich vom Schauplatz, wie der Blick einer Kamera, die in rasender Fahrt nach oben gerissen wird. Unter ihr das Stadion, Tausende auf den Rängen, darunter auch Nellis, ihr Liebhaber. Die vielbeinige Maschine bewegt sich im Inneren des Ovals.
    Plötzlich läuft die Maschine nicht mehr rund, eine winzige Irritation entsteht. Die Kamera rast zurück in die Nahaufnahme, Kate sieht ihr eigenes Gesicht, verzerrt vor Anstrengung. Die Geräusche sind Überlebensgroß, wie durch einen riesigen Verstärker gejagt. Tschok, tschok, tschok … Sprung … tschok, tschok, tschok … Der Rhythmus der Maschine hämmert erbarmungslos, das Pumpen der Atemgeräusche übertönt alles.
    Die achte Hürde naht, die Maschine beginnt zu stottern. Tak-tak-tak-tak-tak … Kates Herz gerät aus dem Takt, ihr Kopf schaltet sich ein. Es ist die Tausendstelsekunde, in der sich ihr Schicksal entscheidet. Rechts schiebt sich Judy vorbei, dicht gefolgt von Cristina. Die neunte Hürde. Ein leichtes Schlingern. Aus den Augenwinkeln sieht Kate einen Schatten auf der Außenbahn. Ein minimales Zucken des Kopfes, ungläubiges Staunen, die Marokkanerin schwebt über die zehnte Hürde, scheint in der Luft zu verharren und nach kurzer Verzögerung wie mit Zeitraffer ins Ziel zu schießen.
    Der Stoß kommt unausweichlich, trotzdem überraschend.
    Die zehnte Hürde kippt und, mit ihr verknotet, Kate.
    Ihr Körper knallt auf die heiße Kunststoffbahn, sie fühlt nichts als einen blutpumpenden Preßlufthammer in der Brust und Schwärze in den Augen. Unter der Have-a-nice-day-fröhlichen Sonne Kaliforniens verglüht ein Traum.
     
    Kate begegnete Kommissar Lander an der Tankstelle. Sie war dabei, Benzin in den Tank ihres Wagens zu füllen, als er gemächlich die Straße überquerte und auf sie zukam.
    »Hallo, wie geht’s?« rief er ihr schon von weitem zu.
    Sein Anblick erfüllte sie mit plötzlicher Unruhe.
    Zehn Tage zuvor war ein Mann aus dem Dorf verhaftet worden; ein Verwandter der ermordeten Frau. Seither hatte sich die Aufregung der Menschen gelegt.
    Auch Kate war wie befreit gewesen; endlich schien alles vorbei zu sein. Was also hatte Lander hier zu suchen?
    »Ist wieder was passiert?« fragte sie besorgt.
    »Nein, nein, alles in Ordnung«, sagte Lander, »wir haben den Mann. Ich versuche nur, ein paar Ungereimtheiten in seiner Aussage zu klären.«
    Kate hoffte inständig, daß er die Wahrheit sagte. Seit der Fall geklärt zu sein schien, schlief sie endlich wieder ruhiger.
    »Haben Sie sich gut eingelebt?« Landers braune Augen ruhten einen Moment zu lange auf ihrem Gesicht.
    Kate errötete leicht. »Na ja, eigentlich schon. Ich habe einen etwas sonderbaren Nachbarn. Aber sonst geht es gut.«
    »Ach ja? Wer ist das?«
    »Willi Mattuschek. Wohnt mit seiner Frau in einem von den Doppelhäusern.«
    Lander nickte bedächtig. »Hm. Hab’ von ihm gehört. Belästigt er Sie?«
    Kate hängte den Einfüllstutzen zurück an die Zapfsäule und schraubte den Tankdeckel zu. Dabei verzog sie das Gesicht. »Wenn ich das nur genau sagen könnte! Vielleicht kennen Sie das, es gibt Situationen, die nicht so eindeutig sind. Man hat das Gefühl, daß etwas nicht stimmt, aber man ist nicht sicher, was es ist.«
    Lander hörte aufmerksam zu, die Hände in den Taschen seines Sakkos.
    »Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen. Sollten Sie Hilfe brauchen, sagen Sie’s mir, versprochen?«
    Kate bedankte sich. Komisch, sie mochte den Mann. Mit seinen unmöglichen Anzügen, den melancholischen Augen und der angenehm unsoliden Ausstrahlung. Unschlüssig blieb sie stehen. Eigentlich war das Gespräch beendet, sie hätte sich verabschieden und losfahren können.
    »Sagen Sie …«, Lander sah sich suchend um, »kann man hier irgendwo Kaffee trinken?«
    »Na ja, beim Bäcker gibt’s Kaffee an Stehtischen. Die Dorfschenke ist um diese Zeit noch nicht geöffnet.«
    »Außerdem schmeckt der Kaffee dort wie Spülwasser«, sagte Lander und schüttelte sich. »Da war ich neulich schon.«
    Kate überlegte, ob sie ihn zu sich nach Hause einladen sollte, aber irgendwie erschien es

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