Der Mann von Nebenan
ihr unpassend. Immerhin war er ein Hauptkommissar im Dienst.
Plötzlich sagte Lander: »Ich kenne einen Gasthof in der Nähe! Dort kann man sogar draußen sitzen. Kommen Sie mit?«
»Äh … ich weiß nicht …« Kate wurde verlegen.
»Wenn Sie nicht freiwillig mitkommen, bestelle ich Sie aufs Revier.« Landers Miene blieb todernst.
»Ach, soll das ein Verhör werden?«
»Ganz genau.«
»Also gut.« Kate lächelte, »aber dann nehmen wir mein Auto. Ich will nicht in Ihrer Bullenschleuder gesehen werden.« Sie zeigte auf das grün-weiße Polizeiauto, das Lander unvorschriftsmäßig in einer Kurve der Hauptstraße abgestellt hatte.
Er setzte sich auf den Beifahrersitz und dirigierte Kate in einen Nachbarort. Auf der Terrasse einer Ausflugswirtschaft, die an diesem Werktag nur spärlich besetzt war, nahmen sie Platz. Vor ihnen lag ein atemberaubendes Bergpanorama.
»Also, worüber wollen wir reden?« fragte Kate herausfordernd.
»Worüber Sie wollen.«
»Ich? Sie haben mich hierher entführt!«
»Also gut.« Er lehnte sich zurück und fuhr mit beiden Händen durch sein Haar. »Warum haben Sie mir verschwiegen, daß Sie zwanzig Minuten ohnmächtig waren?«
»Woher wissen Sie das?« Kate war verblüfft.
Lander grinste. »Also, warum?«
Sie schwieg.
»Ich sag’s Ihnen. Weil Sie sich für eine starke Frau halten. Und starke Frauen fallen nicht in Ohnmacht, stimmt’s?«
»Blödmann«, dachte Kate bei sich.
»Stimmt also«, sagte Lander zufrieden.
»Und wenn schon!« fuhr Kate ihn plötzlich an. »Ist das nicht meine Sache?«
»Klar ist das Ihre Sache, solange es sich nicht um einen Mordfall handelt.«
Er durchsuchte die Taschen seines Sakkos, bis er einen Kugelschreiber gefunden hatte. Dann begann er, den Rand eines Bierdeckels zu bekritzeln.
»Ich wüßte wirklich gern, wie Sie das herausgefunden haben«, insistierte Kate.
»Weil Ihr Luxuskörper einen prima Abdruck im Gras hinterlassen hat, kaum einen Meter neben der verletzten Frau«, Lander lächelte.
Kate senkte beschämt den Blick.
»So, und worüber reden wir jetzt?« Landers Lächeln wurde noch breiter.
Es gab einiges, worüber Kate gerne geredet hätte. Darüber, mit wem er sonst Kaffee trank, zum Beispiel. Warum seine Frau ihn verlassen hatte. Was er nach Dienstschluß machte. Aber irgend etwas hielt sie zurück.
Sie stellte ein paar unverfängliche Fragen nach seiner Arbeit. Er beantwortete sie, während er eine Reihe winziger Elefanten auf den Bierdeckel zeichnete.
Irgendwann hielt er inne.
»Was das Faszinierende an der Polizeiarbeit ist?« wiederholte er Kates Frage.
Sie nickte.
»Daß man eine Ahnung von der menschlichen Seele bekommt. Und von ihren Abgründen.«
Kate verglich seine Schilderungen von Kriminalität, sozialer Härte und öder Alltagsroutine mit ihren Erfahrungen.
»Ich glaube, daß ich ein ziemlich weltfremdes Leben führe«, sagte sie nachdenklich. »Als Sportlerin wurde ich rumgereicht wie ein edles Schmuckstück. Und heute baue ich Instrumente, was zwar schön ist, aber doch auch verzichtbar für die meisten Menschen.«
»Irgend jemand muß ja das Schöne in die Welt bringen. Vielleicht können Sie das besser als andere.«
»Danke«, sagte Kate und lächelte verlegen. »Das haben Sie nett gesagt.«
»Ich finde sogar«, sagte er weiter und beugte sich vor, »daß Sie besonders viel Schönes in die Welt bringen. Man kann sich kaum vorstellen, daß auch Ihnen so was Schnödes wie eine Scheidung zustößt.«
»Die ist mir nicht zugestoßen, die hab’ ich schon mit zu verantworten«, sagte Kate spöttisch. »Das wird bei Ihnen nicht anders gewesen sein, nehme ich an.«
Diese Direktheit schien Lander zu irritieren.
»Da liegen Sie richtig, schöne Frau«, sagte er leicht reserviert und erhob sich. »Und jetzt muß ich leider wieder an die Arbeit.«
Die Schlaflosigkeit war zurückgekehrt. Die übliche Menge Schlafmittel wirkte nicht mehr, aber Kate traute sich nicht, eine höhere Dosis zu nehmen. Sie fürchtete, ihr Herz würde streiken, wenn sie weiterhin versuchte, den Schlaf zu erzwingen.
Ruhelos und mit hohlen Augen lief sie eines Nachts herum; zuerst im Haus, dann draußen im Garten. Es war eine dieser finsteren Nächte ohne Mondschein; Kate überlegte kurz, ob sie eine Taschenlampe holen sollte, ließ es dann aber sein. Auf dem Nachbargrundstück war alles ruhig, kein Schneckenmassaker, kein Feuerzauber. Sie kauerte sich in die Hängematte unter dem Apfelbaum, lauschte den Geräuschen der Nacht
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