Der Mann von Nebenan
und spürte den kühlen Wind auf ihrer fiebrig-heißen Haut.
Seit der Essenseinladung war über eine Woche vergangen; Kate hatte sorgfältig darauf geachtet, Mattuschek nicht über den Weg zu laufen. Sie hatte auch nicht angerufen, um sich zu bedanken, wie sie es sonst nach Einladungen tat.
Die Sache mit dem Foto ließ ihr keine Ruhe. Sie hatte sofort ein blickdichtes Rollo im Bad aufgehängt, aber das Unbehagen war geblieben. Wer weiß, in welchen Situationen er sie noch beobachtet hatte? Sein Interesse an ihr war eindeutig sexueller Natur, das war ihr inzwischen klar.
»Der kriegt doch schon lange keinen mehr hoch«, hatte Inge gelästert, als Kate den Frauen von seinem Annäherungsversuch erzählt hatte.
»Von wegen«, hatte Rita sich eingeschaltet, »neulich stand er hinter einem Busch und hat mich beobachtet, als ich oben ohne im Garten lag. Ich könnte schwören, er hat sich dabei einen runtergeholt.«
Malise hatte mit den Fingern die Bewegungen einer Schere vollführt, um zu zeigen, wie sie in einem solchen Fall mit dem Nachbarn verfahren würde.
Bei dieser Erinnerung mußte Kate grinsen. Malise war schon ein hartes Kaliber, aber Kate hatte begonnen, die spröde Person gerne zu haben.
Sie schaukelte in der Hängematte auf und ab; die monotone Bewegung wirkte angenehm beruhigend. Fast wäre sie eingeschlafen. Plötzlich schreckte sie hoch. Was war das? Mehr, als etwas gesehen oder gehört zu haben, hatte sie etwas gespürt. Sie konnte nicht sagen, ob es ein Gedanke war, ein Geräusch, oder die Anwesenheit einer Person.
Beunruhigt richtete Kate sich auf, versuchte vergeblich, mit den Augen die Finsternis zu durchdringen. Etwas in ihr zog sich ängstlich zusammen. Was, wenn die Polizei sich geirrt und den falschen Mann eingesperrt hatte?
Sie beschloß, ins Haus zu gehen, und ließ sich aus der Hängematte fallen. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen. Plötzlich glaubte sie, vor sich eine Bewegung wahrzunehmen. Erschrocken wich sie zurück – und spürte, wie sich zwei Arme um ihren Körper legten.
Ein gellender Schrei zerriß die Nacht.
Bevor Kate begriff, daß sie selbst es war, die geschrien hatte, verlor sie das Bewußtsein.
Noch bevor Kate ganz zu sich gekommen war, stieg ihr ein vertrauter Duft in die Nase. Dieses Rasierwasser kannte sie. Sie öffnete die Augen.
»Was, zum Teufel, tust du hier?« fragte sie entgeistert.
»Ich wohne hier, falls du das vergessen hast«, erwiderte Nellis freundlich.
»Ja, aber du bist doch in Australien!«
»Ich war in Australien«, verbesserte er. »Ich fahre auch wieder hin. Aber jetzt bin ich hier.«
Kate richtete sich auf. Sie saß auf der Gartenliege, neben ihr Nellis, dessen plötzliches Auftauchen sie erst mal verdauen mußte.
»Warum hast du nicht angerufen?«
»Hab’ dich nie erreicht. Von der segensreichen Erfindung des Anrufbeantworters hast du ja offensichtlich noch nichts gehört!«
Staunend betrachtete sie ihren Freund, und es schien ihr, als hätte sie dieses Gesicht bisher nur von Fotos gekannt und betrachte zum ersten Mal die dazugehörige Person. Er wirkte jung, voller Leben. Sein braunes Haar stand wirr vom Kopf ab. In den Spitzen war es ausgebleicht von der Sonne und ein bißchen strohig. Seine letzte Rasur lag ein paar Tage zurück; Kate wunderte sich, warum er trotzdem nach Vetiver roch. Seine Augen, leicht asiatisch im Schnitt, hatten den Farbton reifer Kastanien.
Er trug ein naturfarbenes Leinenhemd und altmodische Hosenträger aus Leder, die mit Knöpfen an der Hose befestigt waren. Er hatte Gürtel schon immer gehaßt; Kate kannte ihn nur mit Hosenträgern.
Plötzlich fröstelte sie in der kühlen Nachtluft. Nellis legte fürsorglich einen Arm um sie.
»Komm, laß uns reingehen.«
Sie erhoben sich und gingen Arm in Arm ins Haus. Kate lehnte ihren Kopf an Nellis’ Schulter. Der geballte Ansturm von Erinnerungen machte sie schwindelig. Sie hielt sich an ihm fest und saugte seine Ausdünstungen ein; eine beunruhigende Mischung aus Rasierwasser, Staub, Schweiß und Körperwärme.
Es kam ihr gar nicht merkwürdig vor, als sie plötzlich seine Lippen auf ihrem Mund spürte. Kate schloß die Augen, und sie fielen zusammen aufs Sofa. Als sie seine Zungenspitze fühlte, fiel ihr die Unterhaltung mit Samuel übers Küssen ein. Sie lachte laut auf, Nellis hielt inne und warf ihr einen fragenden Blick zu. Sie zog ihn wieder an sich.
Nellis zu küssen war schon immer ein besonderes Vergnügen gewesen; er gehörte zu den
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