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Der Mann von Nebenan

Der Mann von Nebenan

Titel: Der Mann von Nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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du bist doch noch nicht so alt«, versuchte er, Kate aufzumuntern.
    Sie lächelte. »Danke, Sammy, lieb von dir, aber das ist es nicht. Es ist nur …« Sie brach ab.
    Bob Marley, inzwischen dreizehnjährig, nicht mehr ganz so klein und sommersprossig, blieb stehen und sah sie ernst an. »Ich weiß schon, Mam. Du mußt es mir nicht erklären.«
     
    Gegen ihren Willen nahm Kate in den folgenden Tagen Kilo um Kilo ab. Sie wußte, daß es ihr nicht guttat, wenn sie Gewicht verlor, daß ihre Nerven nur um so mehr flatterten, aber sie konnte es nicht verhindern. Sie zwang sich zum Essen, so gut es ging, aber nichts davon hinterließ eine Spur an ihrem Körper.
    »Du siehst ja selten beschissen aus«, begrüßte Olga sie bei ihrem nächsten Besuch im Dorf. »Nimmt dich die Sache mit dem Schuppen echt so mit?«
    Kate erzählte, was sie bedrückte. Olga hörte schweigend zu.
    »Das war doch eigentlich zu erwarten, oder nicht?« fragte sie mit dem ihr eigenen Pragmatismus.
    »Ja, schon. Aber wenn’s dann so konkret wird, tut es ganz schön weh.«
    »Wahrscheinlich hast du recht. Es ist schwierig für mich, mir das vorzustellen. Wenn man keine Kinder hat …«
    »Hättest du eigentlich gerne welche?«
    Sie hatten noch nie darüber gesprochen. Kate hatte Olga immer als die toughe Karrierefrau gesehen, der Kinder ein Greuel waren und die auch gut ohne Ehemann auskam.
    »Ich weiß nicht«, sagte Olga nachdenklich. »Ehrlich gesagt glaube ich, daß in mein Leben keine Kinder passen. Ich überlege mir nur manchmal, wie das wird, wenn ich alt bin. Ich hoffe, ich werde nicht so bescheuert wie dein Nachbar da drüben. Wenn der ’ne Familie hätte, würde er seine Zeit doch nicht mit so einem Schwachsinn verplempern.«
    Der Gedanke war Kate noch gar nicht gekommen. Aber war Einsamkeit eine Entschuldigung dafür, daß man seine Mitmenschen quälte?
    »Paß auf, Kate, ich muß am Schuppen etwas nachmessen. Ich will aber nicht, daß der Typ mich sieht. Könntest du nachsehen, ob die Luft rein ist?«
    Kate nickte und ging zur Hintertür, in deren obere Hälfte eine Glascheibe eingelassen war. Unauffällig blickte sie in den Nachbargarten. Es war niemand zu sehen, die Terrassentür war geschlossen.
    »Alles klar«, rief sie Olga zu, die daraufhin, bewaffnet mit einem Meterstab, einem Taschenrechner und einem Plan, energisch Richtung Schuppen schritt.
    Kate hielt den Blick in Mattuscheks Garten gerichtet, wo sich weiterhin nichts rührte. Einmal hatte sie kurz das Aber sicher war sie nicht.
    Nach ein paar Minuten kam Olga zurück.
    »Fertig. Ich habe gut geschätzt, es sind knapp vier Quadratmeter. Genauer gesagt: Drei Komma acht sieben. Macht also …«, sie tippte auf dem Rechner herum, »… macht genau eintausendfünfhundertachtundvierzig Mark. Ist dir dein Seelenfrieden soviel wert?«
    »Pfff«, machte Kate wegwerfend. Sie konnte sich aber des Gefühls nicht erwehren, daß die Sache teurer werden würde. Viel teurer.

NEUN
     
    D ie Geräusche des Morgens bohrten sich unnachgiebig in Kates Bewußtsein. Langsam tauchte sie aus dem Tiefschlaf auf, als käme sie vom Grunde des Meeres. Erst öffnete sie ein Auge, dann das zweite. Schnell klappte sie beide wieder zu.
    Das mußte ein Traum sein. Ein ziemlich blöder Traum, wie Kate fand. Vorsichtig versuchte sie es erneut. Es hatte sich nichts verändert. Sie befand sich tatsächlich im Schlafzimmer einer kleinen, ziemlich aufgeräumten Junggesellenbude unter dem Dach. Neben ihr schnarchte ein Mann, von dem Kate nur eine nackte Schulter und ein Haarbüschel sehen konnte. Dennoch bestand kein Zweifel: Es handelte sich um den Bäckermeister persönlich.
    Oh, verdammt. Zwei Männer in zwei Monaten, das grenzte an Don-Juanismus, oder wie hieß das noch bei Frauen? Kate beschloß, sich später ausgiebig zu schämen. Jetzt wollte sie erst mal raus hier. Während sie so leise wie möglich ihre Klamotten zusammensuchte, fiel ihr Stück für Stück der Verlauf des Abends und der Nacht wieder ein.
     
    Es ist Leonharditag, der höchste Feiertag der Gemeinde, an dem alles gesegnet wird, was Ähnlichkeit mit einem Pferd hat. In bunt geschmückten Wagen, angetan mit ihren festlichsten Trachten, fahren oder reiten die Pferdebesitzer zu den Klängen mehrerer Blaskapellen durchs Dorf, umrunden die Sankt-Leonhard-Kapelle, wo der Pfarrer mit Hilfe eines Weihwasserbesens seinen Segen verteilt, und begeben sich anschließend ins Festzelt, um sich ausgiebig zu besaufen. Ein schöner Brauch, findet Kate und

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