Der Mann von Nebenan
hatte.
Wütend wollte sie den Blumenstrauß in die Mülltonne pfeffern, aber dann besann sie sich eines Besseren. Sie brachte die Blumen zu Inge. Die hatte bestimmt schon lange keine mehr geschenkt bekommen.
Als Samuel an diesem Wochenende von Bernd zurückkam, wirkte er bedrückt.
Kate beobachtete eine Weile, wie er unruhig hin und her ging, gedankenlos mit der Fernbedienung spielte und offenbar ein Problem wälzte.
Er hatte seinen dreizehnten Geburtstag mit Bernd gefeiert; Kate war sehr gekränkt gewesen, als er ihr diesen Entschluß mitgeteilt hatte. Sie hatte versucht, es sich nicht anmerken zu lassen, glaubte allerdings nicht, daß es ihr gelungen war. Jetzt hatte sie ein schlechtes Gewissen. Sie wollte ihrem Jungen doch keine Schuldgefühle machen, das hatte sie sich fest vorgenommen.
»Was ist mit dir, Sammy?« erkundigte Kate sich vorsichtig.
»Nichts«, sagte er erwartungsgemäß.
»Hast du dich über mich geärgert?«
»Nein, nein. Alles in Ordnung.«
»Über Bernd?«
Er verneinte. Um weiteren Fragen auszuweichen, verließ er das Zimmer. Kate hörte, daß er in den Garten lief.
Das Telefon klingelte. Olga.
»Paß auf, Kate, ich habe einen freundlichen Brief an deinen Nachbarn geschrieben, in dem ich die Rechtswirksamkeit der Vereinbarung anzweifle und ihm deine Absicht mitteile, auf keinen Fall den Schuppen zu entfernen. Ich habe die Möglichkeit angedeutet, ihm mit einer kleinen Zahlung entgegenzukommen. Nehmen wir an, es handelt sich um vier Quadratmeter, die überbaut sind. Bei den derzeitigen Grundstückspreisen in eurem Landkreis wären das ungefähr vier mal vierhundert Mark, mit denen du ihm das Nutzungsrecht sozusagen ablösen könntest. Im Gegenzug würde er sich – diesmal vor einem Notar – zum Verzicht auf weitere Forderungen verpflichten.«
»Klingt gut«, sagte Kate, »ich weiß nur nicht, ob ihm das genügen wird. Ich glaube, es geht ihm nicht um Geld oder um die paar Quadratmeter. Ich glaube, es geht ihm darum, mich zu ärgern.«
»Wart’s ab. Wenn Bargeld lacht, sind die meisten Leute schnell zufrieden.«
Kate bedankte sich und legte auf. Seit Olga die Sache in die Hand genommen hatte, fühlte sie sich besser. Ihre Freundin war eine erfahrene Anwältin, die würde die Sache schon regeln.
Als das Abendessen fertig war, rief Kate nach Samuel.
Sie bekam keine Antwort. Rufend lief sie durchs Haus und in den Garten – nichts.
»Samuel! Sammy, wo bist du?« rief sie, so laut sie konnte.
Plötzlich war ihr, als hörte sie aus dem Schuppen ein Geräusch. Sie riß die Tür zu ihrer Werkstatt auf.
Leises Schluchzen drang zu ihr.
»Sammy?« Suchend ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen, bis sie begriff, daß das Weinen von oben kam. Sie entdeckte eine Luke in der Decke. Schnell stieg sie auf einen Stuhl und drückte dagegen. Die Luke ließ sich leicht öffnen, Kate steckte den Kopf hindurch und sah in eine niedrige Kammer, höchstens achtzig Zentimeter hoch und von schrägen Dachbalken begrenzt. Hier hatte Samuel sich eine Art Lager gebaut; Kate entdeckte eine Matratze und ein paar alte Decken, die sie ausgemistet hatte.
»Samuel, Schätzchen, was machst du denn hier oben?« rief Kate aus, erleichtert, ihn wohlbehalten vorzufinden.
Samuel schluchzte. Kate zog sich mit einem Ruck in die Höhe und kauerte sich neben ihn. Schweigend streichelte sie seinen Rücken, bis sie spürte, daß er sich langsam beruhigte.
»Wenn … wenn Bernd Ramona heiraten würde, wäre sie dann meine … Stiefmutter?« fragte er stockend.
Kate schluckte.
»Hat er das gesagt? Ich meine … will er sie heiraten?«
»Ich weiß nicht. Aber wenn zwei Leute ein Kind kriegen, heiraten sie doch meistens.«
Kate nahm seinen Kopf in die Hände und drehte sein Gesicht zu ihr.
»Heißt das, Ramona ist schwanger?«
Samuel nickte. Kate spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Sie hatte sich so sehr ein zweites Kind mit Bernd gewünscht. Und nun kriegte er es mit einer anderen. Sie verbarg das Gesicht in den Händen.
»Mam! Mam, wein doch nicht! Oh, Scheiße, es tut mir so leid!«
Aufschluchzend warf Samuel seine Arme um ihren Hals, und eng aneinandergeschmiegt blieben sie liegen, jeder in seinen Kummer vertieft. Irgendwann bewegte sich Kate.
»Komm, laß uns rübergehen«, sagte sie sanft.
Samuel ließ eine schmale Holzleiter durch die Luke auf den Boden. Vorsichtig kletterte Kate hinter ihm her. Hand in Hand gingen sie über den Rasen.
»Du kannst doch auch noch ein Kind haben,
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