Der Mann von Nebenan
beeindruckt.
»Wenn ich das nicht könnte, würde ich längst als Skelett in der Sahara liegen«, gab Malise zurück.
Zu dritt stiegen sie in Kates alten Ford.
»Wohin soll ich fahren?« wollte Kate wissen.
»Zum Hochsitz«, sagte Malise ohne weitere Erklärungen.
»Und Rita?«
»Sorgt dafür, daß unser Freund in die richtigen Hände kommt.«
Kate hätte gerne weitergefragt, aber es war offensichtlich, daß sie nicht mehr aus Malise herauskriegen würde. Inge saß schweigend auf dem Rücksitz, sie schien mit ihren Gedanken weit weg zu sein.
»Kann ich die Kiste für ein paar Tage ausleihen?« fragte Malise, und Kate willigte ein. Sie brauchte den Wagen nur, um in die Stadt zu fahren, und das hatte sie derzeit nicht vor.
Sie parkten am Waldrand und gingen die letzten hundert Meter zu Fuß. Der Hochsitz befand sich auf dem Weg zum Waldweiher, am Rand einer großen Wiese, die still und vom Mond hell beschienen dalag.
Kate kletterte hinter Inge und Malise die roh gezimmerten Sprossen hinauf. In einer Höhe von ungefähr zweieinhalb Metern, gut versteckt zwischen den Ästen zweier Bäume, befand sich eine geräumige Fläche, auf der sie bequem Platz hatten.
Malise förderte aus den Tiefen ihrer Gewänder einen Flachmann hervor und ließ ihn kreisen.
»Was ist das?« keuchte Kate, nachdem sie einen kräftigen Schluck genommen hatte. Das Zeug brannte in ihrer Kehle.
»Passend zum Thema des heutigen Abends: Willi.«
Malise grinste.
»Willi?«
»Williamsbirne«, erklärte Inge ungeduldig und nahm ihr die Flasche ab.
»Pssst«, machte Malise und legte den Finger an den Mund. Die drei lauschten. Aus der Ferne waren Männerstimmen und das Gebell von Hunden zu vernehmen.
»Ihm passiert aber nicht wirklich was?« fragte Kate plötzlich ängstlich.
Malises Blick ließ sie sofort verstummen.
Die Stimmen und das Gebell kamen näher. Eine Gruppe vermummter Gestalten, mit schweren Knüppeln bewaffnet, brach aus dem Wald. Vorneweg lief ein Mann, der als einziger unmaskiert war. Er versuchte verzweifelt, mit den Händen Kopf und Gesicht zu schützen. Zwei wütend bellende Schäferhunde flankierten die Gruppe; sie liefen vor und zurück und machten Anstalten, den Verfolgten anzufallen.
Malise war aufgesprungen, hielt sich mit den Händen an der Umrandung des Hochsitzes fest und verfolgte das Geschehen. Ihr Körper verriet höchste Anspannung, ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre schwarzen Locken schlängelten sich wie kleine Nattern über den Rücken. Auf Kates Stirn bildeten sich kleine Schweißperlen. Ihre Handinnenflächen wurden feucht.
Inge saß seelenruhig auf ihrem Holzbrett und leerte den Flachmann. »Macht ihn fertig, den Mistkerl«, murmelte sie und sah mit leerem Gesichtsausdruck vor sich hin.
Die Männer waren noch ungefähr dreißig Meter entfernt, kamen aber direkt auf den Hochstand zu. Sie prügelten abwechselnd auf den Flüchtenden ein, stießen ihn zwischen sich hin und her, stellten ihm ein Bein, daß er stürzte, und rissen ihn wieder hoch, damit er weiterlief. Dazu stießen sie heftige Beschimpfungen aus.
In Kate stieg eine Erinnerung auf.
Nellis hatte ihr mal von einem »Haberfeldtreiben« erzählt. Das war eines der Rituale, mit dem früher unliebsame Dorfbewohner abgestraft wurden. Sie hatte keine Ahnung gehabt, daß es diesen Brauch noch gab.
Kate stellte sich vor, wie Mattuschek sich jetzt fühlte, und eine ekligsüße Schadenfreude kroch in ihr hoch. Ja, es geschieht ihm recht, dachte sie. Ich hoffe, sie machen ihn fertig!
Sie erschrak über sich selbst.
In diesem Moment ertönte ein wütender Schrei. Malise stand mit geballten Fäusten da und starrte nach unten, wo die Männer schwer atmend zum Stehen gekommen waren.
»Was ist das, verdammte Scheiße?«
Kate kniff die Augen zusammen. Was war los?
Da erklang Ritas Stimme.
»Das hast du davon, du mieser, kleiner Ehebrecher! Überleg’s dir gut, bevor du dein Ding noch mal in eine andere steckst. Das nächste Mal hacke ich es dir ab!«
Kate und Malise fuhren herum, Inge glotzte verständnislos auf Rita, die plötzlich aus der Dunkelheit aufgetaucht war. Rasch nahm sie die letzten Sprossen und stand nun ebenfalls auf der Plattform des Hochsitzes.
Malise packte sie und schrie: »Was soll das, spinnst du?«
Zufrieden grinsend sah Rita auf den Mann herab, der wimmernd, mit zerrissenen Klamotten, Schrammen im Gesicht und Blutergüssen am ganzen Körper, auf dem Boden kniete und flehend zu seinen Peinigern aufsah. Es war
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