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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
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auch schon überlegt, das sind bestimmt sechs Kilometer, mit der Schubkarre schaffen wir das nicht. Meinst du, der alte Gerken leiht uns seinen Hanomag?«
    Nullkück deckte den Teig mit einem Handtuch ab und wischte mit einer offensichtlich lange einstudierten Bewegung seine Arbeitsplatte sauber.
    Zwischendurch tippte Paul in sein Handy:
     
    Ich wollte dir nur mitteilen, dass heute dolly gestorben ist. Dolly war doch dieses walisische bergschaf, das durch ein klonverfahren erzeugt wurde. Nun ist es tot. Wie geht es denn den fliegen? Dein paul
     
    Bumm. Sie hörten einen dumpfen Schlag. Einen zweiten. Bumm. Die Wand wackelte. Nach dem dritten Schlag sah Jan Brüning durch ein Loch in die Küche. »Mahltiet!«, sagte er.
    Paul starrte Brüning an, der braunroten Staub und Mörtel auf der Mütze hatte. »Was machen Sie denn?«
    »Hett mien Söhn Karl dat nich verteilt?«, fragte Brüning und schlug weitere Ziegelsteine in die Küche.
    »Wat denn verteilt? Hett Ernst wat verteilt?«, fragte Paul Nullkück, der mit den Schultern zuckte und seinen Buchweizenteig in Sicherheit brachte.
    »Hier mööt de Butenwannen weg!«
    »Wie bitte?«, fragte Paul, ihm wuchs das hier langsam über den Kopf. »Butenwannen, was soll das heißen, warum schlagen Sie ohne Vorwarnung die ganze Küche kaputt?«
    »An dieser Stelle müssen die Außenwände, die Butenwannen weg! Hier wird gebohrt!«, erklärte Brüning und wandte sich aufgebracht an seine Söhne, warum sie nichts verteilt hätten und warum nun die Kücks da stünden und noch nicht mal die Küche abgedeckt sei.
    »De olen Stützpielers sünd in Ordnung«, sagte er und steckte seinen Kopf wieder sichtlich beruhigter durch das Loch. »Deutsche Eiche! Mehr Dackstütten gar nicht nötig, Herr Kück!«
    »Wendland«, korrigierte Paul.
    »Gut, Wendland-Kück, auf jeden Fall wird's ohne neue Dachstützen billiger!«
    »Na, das ist doch mal eine gute Nachricht. Was glauben Sie, Brüning: Was ist das Haus wert, wenn hier alles wieder in Ordnung ist? Vielleicht können Sie das mal durchrechnen«, sagte Paul. Dann trat er durch die Wand nach draußen, um zu sehen, ob vom Teufelsmoordamm her wieder jemand kommen und in den Garten einbrechen würde.
     

Ohlrogge mit Malgruppe im Moor
    Ohlrogge stand in den Pedalen seines Holländer-Fahrrads und fuhr in die Hamme-Niederung, er war schon zu spät. Heute musste er eine sechsköpfige Gruppe aus Oldenburg betreuen, die sich für den Freilichtkurs angemeldet hatte und die ihn bereits links der Brücke auf dem Sandweg erwartete mit aufgestellten Staffeleien, Malplatten, Borstenpinseln und jeweils zwölf Farben auf der Palette.
    »Wir dachten schon, Sie kommen nicht mehr!«, sagte eine Kursteilnehmerin, die ihn mit einer Schürze um den Bauch startbereit ansah. Auch die anderen vier Damen hielten den Borstenpinsel bereits in der Hand. Die eine, die dickste, mit erröteten Wangen, hatte ihn schon in Van-Dyck-Braun getunkt, nur ein einzelner Herr schraubte an seiner Staffelei.
    Ohlrogge lehnte das Fahrrad an einen Zaun, nahm vorsichtshalber seine Luftpumpe aus der Halterung, um sie vor Diebstahl zu schützen, und stellte sich vor die Gruppe. Normalerweise begann er den Kurs »Auf den Spuren der alten Worpsweder« mit einer kleinen Einführung in die Landschaftsmotive von Mackensen und Modersohn. Aber jetzt stand er stumm da und starrte in die Ferne.
    Er sah sich als jungen Mann auf der Wiese stehen, auf der letzten Wiese vor dem Horizont. Er küsst Johanna und hebt sie so hoch, dass sie die Wolken umarmen kann. Irgendwo in Viehland, versteckt, verborgen, gab es dieses Bild: Mann hebt Frau so sehr in die Höhe, bis sich der Himmel verliebt, verrückt wird und den Mann unten abschütteln will. Titel: »Die Leidenschaft des Himmels.« Wahnsinnigste Blautöne, durchdrehende Wolkengebilde, der Wind, der Sturm, der mit dem Haar der Frau spielt in ungestümer Zärtlichkeit. Malte er nicht wie Salvador Dali und William Turner zusammen? Wieso kaufte nie jemand dieses Bild?
    Scheißkunstmarkt, dachte er. Keiner konnte wie er den Turnerhimmel, aber niemand kaufte dieses Bild. Dabei war es mächtiger als Mackensens »Wolkenberge«! Dynamischer als Modersohns »Sturm im Moor«! Blau leuchtender auch als Carl Vinnens »Vorfrühling im Moor« oder Fritz Overbecks »Sommertag in der Hamme-Niederung«! Ohlrogge hielt seine Himmel generell sogar für besser als die von Paula Modersohn-Becker, die sich so sehr mit den Menschen im Moor beschäftigte, dass sie für den

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