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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
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eigenen Schuhe gegeben!«, Paul konnte sich nicht beruhigen. Wie sich die Menschen im Nachhinein in die Geschichte und in irgendwelche Weltzusammenhänge hineinerzählten! Wie sie erzählten und erzählten, um den Glanz einer Zeit in ihr Leben hineinleuchten zu lassen. Eine Generation, die älter geworden dasaß und mit Tausenden von Geschichtchen an die Geschichte anbaute, sodass sich bald aus einem Dorf eine Stadt, aus einer Stadt ein ganzer Moloch aus Legenden und Wahrheiten erhob!
    Und so einer wie dieser Rudolph, so ein Geschichtenerzähler für sich selbst, der marschierte mit seinen Legenden in den Garten, um die Familie Kück im Namen der Wahrheit ans Messer zu liefern?
    »Der nicht! Der hat dich beleidigt!«, rief Paul und dachte an die abfälligen Worte über den Mackensensohn. »Geistesgestört hat er gesagt!«
    Nullkück tippte mit seinen seltsamen Fingern wütend auf den Tasten.
    Woher wusste Rudolph überhaupt davon?, dachte Paul. Wieso kam der nun auch mit dem seltsamen Gerede aus den Kindertagen? Die Herkunft von Nullkück hing immer noch wie ein ungelöster Knoten über Pauls Kindheit und auch seine gesamte Aufklärung hatte am Beispiel von Nullkück stattgefunden:
     
    Eine Frau (Hilde) kann in neun Monaten ein Kind bekommen (Nullkück). Dafür braucht sie einen Mann (Hinrich).
     
    Das war theoretisch einfach, doch gleich danach kam sofort der Knoten, weil Hilde angeblich unfruchtbar war. Und zudem einen schon länger als neun Monate toten Mann hatte, aber trotzdem von ihm Nullkück bekam!
    Paul hatte früher in seinem Zimmer gesessen und über dieses Problem strenge mathematische Gleichungen in ein Notizbuch geschrieben, auch um bei den Angriffen des Jahn-Sohns einen besseren Überblick zu haben:
     
    1. Hinrich + Hilde + eine Woche im Harz = Nullkück (Lieblingsgleichung!)
    2. Hinrich tot + Hilde unfruchtbar = Nullkück? (Unmöglich!)
    Hilde (fruchtbar oder unfruchtbar) + Mackensen = Nullkück? (Hilde für Mackensen zu hässlich!)
    Marie (Kommunistin) + Mackensen (Gründer der Kolonie) = Nullkück? (Vielleicht beim Malen im Moor!)
    ? + ? = Findelkind (Oder geklaut!)
     
    Nullkück schlug immer noch voller Wut auf die Entertaste.
    »Ich finde dich überhaupt nicht geistesgestört«, besänftigte ihn Paul und strich Nullkück über den Arm, der jetzt die Faust ballte mit seinem gefurchten Handrücken und dem winzigen Kleinfinger. Ihm schien das Wort »geistesgestört«, das Rudolph benutzt und Paul weitergetragen hatte, so wehzutun, dass er auch noch die Visitenkarte in mehrere Stücke riss.
    Wieso waren ihm diese winzigen Finger nie aufgefallen, fragte sich Paul. In wie viele kleine Stücke sie die Karte zerreißen konnten! Gleichzeitig kamen in Paul die Bilder vom Schulhof wieder hoch: Malte, die blutigen Kinderfäuste! Ihm war, als würde die Erinnerung immer lebendiger werden und die Vergangenheit heraufsteigen wie die verborgenen Geschichten des Großvaters aus dem Moor, vielleicht war es auch umgekehrt: Vielleicht versank er auch darin.
    »Ich möchte etwas Privates mailen. Darf ich?«, fragte er.
    Nullkück ging zu Luther.
    Paul gab als Erstes »Mackensen-Sohn« ein und drückte auf Enter.
     
    Rondo Veneziano (Mackensen-Sohn). Keine Preisgelder.
     
    Er befand sich auf einer Hengstdatenbank für Trakehnerfreunde.
     
    Rondo Classico (Mackensen-Sohn). 27.000 Euro Preisgelder.
     
    Offensichtlich ein gutes Pferd. Mackensen selbst galt als einer der bedeutendsten Hengste der Nachkriegszeit: alte Oldenburger Mutterlinie sowie väterliche, gekörte, das hieß prämierte Patron-Linie, Patron war wahrscheinlich der Name vom Vater- oder Großvaterhengst.
    Hans Georg von Mackensen.
     
    Ausnahmsweise einmal kein Pferd, sondern Hitlers Botschafter in Rom, später SS-Gruppenführer, Sohn von August von Mackensen, Generalfeldmarschall im Deutschen Kaiserreich.
     
    Rainer Mackensen, Professor in Berlin, Geschichte der Bevölkerungswissenschaft im Nationalsozialismus.
     
    Auch nicht richtig.
     
    Gerd Mackensen, Maler, Bildhauer, Fotografin Nordhausen.
     
    Paul klickte »Nordhausen« an und las über die V2-Rakete der Wehrmacht, die geheime Vergeltungsrakete, die im Harz bei Nordhausen unteririsch gebaut worden war. Mein Gott, dieses Internet, dachte Paul. Da will man einfach nur der Familie auf die Spur kommen und dann ist man bei unterirdischen Raketen im Dora-Mittelbau, Außenlager des KZ Buchenwald!
    Was er auch anklickte unter »Mackensen-Sohn« und »Sohn von Mackensen« oder »Kinder - Fritz

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