Der Mantel - Roman
gefreut. Nun muss er bestimmt ruhen.« Er hatte es leise und sanft gesagt.
»Du sagst es mir, wenn etwas passiert? Wann kann ich ihn wiedersehen?«
»Das weiß ich nicht, lass es uns abwarten. Ich bleibe sicher mit dir in Kontakt.« Das klang viel zu endgültig. »Wenn es geht, wiederholen wir den Spaziergang ganz bald.« Das war positiver, dachte er, wenn auch nicht ehrlich.
Fabian schaute ihn mutlos aus seinem tränennassen Gesicht an. Die Augen waren gerötet, der Blick nicht mehr so forsch und fordernd wie sonst: »Danke, Ulrich«, murmelte er. Er stand auf, umarmte Schmidt flüchtig und wandte sich zum Ausgang. Das »Ruf bitte an« war kaum zu hören. In der Tür blickte er kurz zurück. Shiva war ihm langsam nachgegangen und stand breitbeinig mit unter die Schulterblätter gesenktem Kopf im Gang. Das Schloss klappte, Schmidt war allein.
Shiva musste sein Fressen bekommen. Es war nicht leicht, die Schmerztabletten so in das Futter zu mengen, dass er sie nicht aufspürte. Oft schob er das Futter mit der Zunge im Maul hin und her, bis er schließlich den Fremdkörper fand, den er dann elegant ausspie. Da auch sein Appetit gelitten hatte und er bedächtiger fraß, war das Untermischen der Medizin in einen Fleischbrocken eine richtige Aufgabe. Schmidt dachte währenddessen, dass das doch seltsam war, wie stark Krebs nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Haustieren zunahm. Er hatte gelesen, dass die Verbreitung von Giften in der Umwelt, Chemikalien, die es vor Jahren noch gar nicht gab, und die Veränderung der Ernährung die Hauptrolle beim Siegeszug des Tumors spielten. Zu viele Fette, falsche Fette, Zunahme von Omega-VI- gegen Omega-III-Fettsäuren in der Nahrung, der Einsatz von Herbiziden und Pestiziden, zu viel Zucker und so fort – alles nachweisbare Ursachen von Krebserkrankungen. Das galt im selben Maße natürlich für unsere Haustiere. Sie waren in unserem direkten Umfeld nicht nur allen chemischen und sonstigen Risikosubstanzen ausgesetzt, denen auch wir ausgesetzt waren. Auch das Tierfutter wies dieselben Zusatzstoffe auf wie unsere Ernährung, einschließlich des Dosenfleischs, das Shiva immer bekommen hatte. Gleiche Bedingungen, gleiches Schicksal, dachte er. Viel zu spät hatte er sich für das Thema interessiert. Es ist so wichtig, aber relevant wird es wohl erst, wenn man selbst von den brutalen Folgen erfasst wird. Aber an diesem Abend fraß Shiva mit Lust, offenbar hungrig von dem für ihn langen Ausflug. Schmidt schaute befriedigt zu, als das Telefon läutete. »Schmidt.«
»Hier auch. Franz!« Die tiefe, leicht metallische Stimme war unverkennbar die seines Bruders. Schmidt brauchte einen Moment: »Franz, das ist ja eine Überraschung.«
»Ich hoffe, keine unangenehme. Wie geht’s?«
»Wenn du es ehrlich wissen willst: gar nicht gut. Meinem Hund geht es sehr schlecht.«
»Dem …«, Franz suchte nach dem Namen, »… den du schon seit Jahren hast, mit dem indischen Namen?«
»Genau, Shiva.« Die Pause war lang genug, sich zur Aussage zu entfalten.
»Ja. Das tut mir leid. Was hat er denn?«
»Prostatakrebs«, sagte Schmidt einsilbig. Er wollte den gleichgültigen Bruder mit der knappen Härte seines Befundes erschüttern.
»Schrecklich. Tut mir leid, Uli.« Noch so eine Pause. Diesmal als bewusstes Stilmittel. Schmidt hielt den Dank zurück, bis das Bedauern endgültig verklungen war. Erst dann, kurz bevor es hätte beleidigend werden können für den ihm so fremden Bruder, reagierte er: »Ja. Danke. Aber um mir das zu sagen, hast du doch nicht angerufen.« Er wunderte sich über seine eigene Härte.
»Nein. Habe ich nicht. Ich wollte mit dir über Sabine reden.«
»Über Frau Graseder, meinst du, was haben wir da zu bereden?«
»Uli, das ist nicht richtig so …«
Schmidt fiel ihm scharf ins Wort: »Nicht richtig, sagst du?«
Die sonore Stimme wurde heller: »Ja. Du weißt ja offenbar jetzt Bescheid über die Sache. Und ich will darüber mit dir reden. Ich habe eh zu lange gewartet. Ich wusste aber auch jahrelang nicht, wo sie arbeitet.«
Wieder unterbrach ihn Schmidt: »Hat dich ja auch nicht besonders interessiert.«
»Jetzt will ich einiges mit dir klären. Darum frage ich, ob du mit mir reden willst.«
Schmidt war überrascht. Er hatte erwartet, sein Bruder würde seinen Kopf nur einfach tiefer in den Sand stecken. Ablehnen konnte er die Aussprache jetzt sicher nicht. Nur wusste er kaum mehr, wie er sich bei einer solchen Aussprache verhalten sollte. Sein
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