Der Marathon-Killer: Thriller
eigenen Zimmer, hatte sie geduscht und sich weinend mit der Sandelholzseife abgeschrubbt. Dann waren die Tränen versiegt, und sie hatte sich an die Arbeit gemacht. Mit dem Eifer einer Todkranken, die nach Heilung sucht, hatte sie im Internet Informationen über die Bahai-Religion recherchiert: Der Prozess des Konvertierens war simpel, man musste lediglich ein »Erklärungsformular« ausfüllen; Bahai-Missionare hatten in der Post-Gandhi-Ära die ländliche Bevölkerung Indiens ins Visier genommen, von denen viele die verlockende Botschaft von einer vereinten Menschheit mit einem Daumenabdruck unterzeichnet hatten. Und der britische Waffeninspektor David Kelly war vier Jahre vor seinem mysteriösen Tod zum Bahaismus konvertiert.
Als es dämmerte, hatte die intensive Recherche sie so gut auf den Tod ihrer Mutter vorbereitet, dass sie in ihrer Übermüdung nun fast davon überzeugt war, es bereits vorher gewusst zu haben. Sie fühlte sich ihrer Mutter näher und verstand ihr Leben besser, und sie wusste, wie man für die Tote beten musste. Natürlich verstand sie den Bahai-Glauben lange nicht so gut, wie ihre Mutter es getan hatte, aber in den letzten Monaten war er in ihr gewachsen und hatte sie auf diesen Tag vorbereitet.
Jetzt saß sie hier im Lotustempel und wartete auf die Ankunft der Kollegen vom Sicherheitsdienst, und sie musste ihre Trauer verschieben. Als Agentin war sie es gewohnt, ihre Gefühle zu verbergen und ihr Innenleben abzuspalten, um ihre Rolle spielen zu können, aber sie wusste, die nächsten Stunden würden ihre Fähigkeiten bis an die äußerste Grenze auf die Probe stellen.
»Mit Tränen in den Augen wirft sie den Blick auf das
Königreich der Mysterien. Viele Nächte hat sie in tiefer Verbindung zu Dir verbracht, und viele Tage lebte sie in vertraulicher Erinnerung an Dich.«
Sie tupfte ihre Augen mit einem Taschentuch ab, blickte sich im Tempel um und zog Kraft aus seiner Schönheit. Monk Johnson würde die Präsidentenreise noch einmal durchgehen wollen, den Weg durch den Garten, die fünf Treppen hinauf in den Schutz von Sahbas Blütenblättern. Leila fühlte sich ebenfalls beschützt, während sie ihr Erklärungsformular in der einen Hand hielt und das Blatt Papier mit dem Gebet in der anderen. Sie stand im Begriff, zum Glauben ihrer Mutter überzutreten, und sie hoffte, man würde ihr vergeben, für die Entscheidungen, die sie getroffen hatte, und die Taten, die sie begehen würde.
48
Marchant hob den Kopf in Richtung der Zellentür und hörte, wie die Riegel zurückgezogen wurden. Seine Augen waren zugeschwollen, und er konnte besser hören als sehen. Soweit er es beurteilen konnte, befand er sich im Keller der amerikanischen Botschaft in Delhi. Auf dem Flug mit dem Sea Hawk hatte man ihm eine Kapuze über den Kopf gezogen und die Hände gefesselt, dann hatten ihn zwei Männer verprügelt, die er für Seals hielt.
Aus ihren Schlägen sprachen solche Rachegelüste, dass er sich fragte, ob es dieselben waren, die ihn in Polen beim Waterboarding in die Mangel genommen hatten. Aber sie sagten kein Wort, weder zu ihm noch zueinander, daher konnte er nicht sicher sein. Vielleicht waren sie einfach nur frustriert, weil sie Dhar nicht gefunden hatten, und ließen Dampf ab, da sie wussten, dass man ihnen den Arsch aufreißen würde, weil sie so kurz vor dem Präsidentenbesuch mit leeren Händen zurückkehrten.
Marchant ging mit den Schlägen mit, so gut er konnte, doch es war ein feiger Angriff, und vor lauter Wut wurde er nicht so schnell bewusstlos, wie er es sich gewünscht hätte. Stattdessen rollte er auf dem kalten Boden des Hubschraubers hin und her und versuchte sich zu schützen, indem er die Knie anzog. Er spuckte so viel Blut wie
möglich aus, damit es hinterher nicht in seiner Kehle gerann.
Jetzt im Keller der Botschaft lag er wieder auf dem Boden, als die Zellentür aufschwang und einen kühlen Luftzug aus dem klimatisierten Korridor hereinwehen ließ. Er wappnete sich für die nächsten Prügel, doch die Schläge blieben aus.
»Daniel?« Es war dieselbe weibliche Stimme, die er auf Dhars Handy gehört hatte: Harriet Armstrong.
Er hörte, wie sie auf ihn zuging, während die schwere Zellentür hinter ihr geschlossen und verriegelt wurde. Sie beugte sich über ihn.
»Ich wollte nur fragen, ob mit Ihnen alles in Ordnung ist. Möchten Sie Wasser?«
Marchant wusste nicht, was er antworten sollte. Diese Frau hatte dabei geholfen, seinen Vater abzusägen, und sie hatte am
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