Der Marathon-Killer: Thriller
Marchant, der zum zweiten Mal in seinem Leben unversehrt davongekommen war.
»Es ist besser, wenn man mich bei denen findet. Los jetzt. Machen Sie schon. Der Chef wartet.«
»Daniel, hier drüben!«, rief jemand von der anderen Straßenseite. Marchant drehte sich um und sah Marcus Fielding auf dem Rücksitz einer Rikscha. Das dreirädrige
Fahrrad bog auf die Straße ein, auf der die Fahrzeuge wegen des Unfalls ins Stocken geraten waren, nahm Marchant auf und fuhr in Richtung Lotustempel davon. Das schrille Pfeifen eines Polizisten blieb hinter ihnen zurück.
53
Salim Dhar nahm den US-Präsidenten ins Visier des Zielfernrohrs an seinem halb automatischen russischen Gewehr. Er wirkte kleiner als in der Wahlnacht, als Dhar ihn im Fernsehen vor dem jubelnden amerikanischen Publikum gesehen hatte. Eine große Schar Anzugträger vom Sicherheitsdienst drängte sich um ihn, während er über den breiten Weg auf den Lotustempel zuging. Sie suchten die Zuschauer ab, wie besorgte Eltern, die nach einem verirrten Kind Ausschau halten. Ein sauberer Schuss war unmöglich, der Kopf des Präsidenten wurde immer wieder verdeckt. Einen Moment lang zweifelte Dhar an dem Plan.
In Alt-Delhi hatten er und die Frau ihre Armbanduhren aufeinander abgestimmt, am Uhrenmarkt von Chandni Chowk, dem größten in Asien. Auf dem Markt bekam man meistens Fälschungen, doch seine Uhr war echt, eine Rolex Milgauss, die Stephen Marchant ihm geschenkt hatte, bevor er ihn im Gefängnis verlassen hatte. Sie war 1958 gefertigt worden und lief selbst in starken Magnetfeldern genau weiter, wie Marchant ihm erklärt hatte. Dhar hatte sie nicht getragen, als er sich mit Daniel getroffen hatte, weil er nicht sicher war, wie ihre Begegnung verlaufen würde, doch jetzt hatte er sie am Handgelenk. Er musste exakt die gleiche Zeit haben wie der Westen.
Es war 17:33. Der Präsident bewegte sich in gleichmäßigem Tempo und winkte den Menschen zu, stets darauf bedacht, dass die Fernsehkameras freie Sicht auf ihn hatten. Dhar hatte ähnliche Sorgen. Er lag neunhundert Meter weiter nördlich auf dem Flachdach einer zweigeschossigen kleinen Wohnsiedlung neben einer großen Schule. Der Besitzer, ein Bruder, der für das indische Wald- und Naturschutzamt arbeitete, war im Urlaub, hatte jedoch sein Dragunov-Scharfschützengewehr vor seinem Aufbruch versteckt, genau wie die Frau es gesagt hatte. Die Waffe war gegen Tigerwilderer zum Einsatz gekommen, und Dhar erkannte das Modell SVD 59 , das die indische Armee benutzte. Zwei seiner Brüder waren erst kürzlich mit einer Dragunov erschossen worden.
Auf dem weiß gestrichenen Dach war es heiß, aber zumindest lag Dhar nicht in der prallen Sonne. Außerdem konnte er nicht entdeckt werden von den drei Helikoptern, zwei amerikanischen und einem indischen, die in geringer Höhe über dem Tempelkomplex kreisten. Sie waren schon den ganzen Tag in der Luft. Der Frau zufolge hatte die Polizei von Delhi zusammen mit Angehörigen des Sicherheitsdiensts jedes Haus innerhalb eines Zweikilometerradius um den Tempel durchsucht.
Alle Häuser dieser Siedlung hatten Wassertanks auf dem Dach, doch der auf dem Haus des Bruders war um fast fünfzig Zentimeter vom Boden angehoben worden und ruhte auf Leichtbausteinen. Außerdem war es der einzige Tank mit einem doppelten Boden, in dem das Gewehr versteckt war. Aus der Luft sah der Tank aus wie alle anderen. Dhar war unmöglich zu entdecken, denn er lag in der Lücke zwischen Dach und Tank, und sein Gewehr
ruhte auf einem Stativ. Das einzige Risiko bestand in den Infrarotkameras, die vermutlich an den Unterseiten der Helikopter befestigt waren. Aber das Wasser über ihm hatte den ganzen Tag in der Sonne gestanden, und er hoffte, es würde seine Körperwärme tarnen.
Der Präsident befand sich deutlich innerhalb der Reichweite der Dragunov, einer Waffe, mit der Dhar schon exakte Schüsse über tausenddreihundert Meter abgefeuert hatte, und trotzdem war er nervös, während er das Visier von seinem Ziel fortschwenkte. Einen Moment lang ließ er sich von einer Bewegung im abgetrennten VIP-Bereich hinter dem Weg ablenken. Ein großer weißer Mann versuchte, sich durch die Zuschauer zu drängen. Dhar schwenkte zurück und dann über den Rest des Wegs zur ersten Stufe, wo er wartete, bis der Präsident in sein Schussfeld treten würde. Sein Finger lag auf dem Abzug. Es war 17:34.
Fielding war noch hundert Meter entfernt, als der Präsident sich der ersten Stufe der Treppen näherte, die
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