Der Marktmacher
entfernt, gedankenverloren vor sich hin.
»Das mußte sein. Ich hatte keine andere Wahl.«
»Genau das meine ich.«
Mit einem warmherzigen, freundlichen Lächeln wandte sie sich mir zu. Ihr kurzes, braunes Haar glänzte in der Sonne. Sie trug ein weißes T-Shirt und einen langen Baumwollrock. Die leichte Sommerkleidung unterstrich die weichen Rundungen ihres Körpers.
Jamie verdiente sie nicht.
I ch blieb also bei Kate und Jamie. Zwei Tage brauchte ich, um meine Wohnung auf Vordermann zu bringen. Dazu mußte ich mit dem Wohnungsmakler sprechen, einen Klempner organisieren, der den Heizkessel in Ordnung brachte, aufräumen, packen und einen Lieferwagen bestellen, der meine Habseligkeiten fortschaffte, die zu achtzig Prozent aus Büchern bestanden. Der Makler meinte, er würde sicherlich eine Miete erzielen, die die Hypotheke n rate fast deckte.
Ich begann wieder an meiner Dissertation zu arbeiten. Die Rekonstruktion der verlorengegangenen Kapitel hatte ich mir weitaus mühsamer vorgestellt. Tatsächlich konnt e i ch mich recht gut an das erinnern, was ich geschrieben hatte. Zwar mußte ich viel in meinen Notizen stöbern, aber selbst das machte mir Spaß. Außerdem hatte ich das Gefühl, daß der Text in der zweiten Fassung besser werden würde. Allerdings hatte ich mir nicht genügend Notizen für die Zitate und Fußnoten gemacht. Das würde mich zwei Tage in der Bibliothek der School of Russian Studies kosten. Alles andere konnte ich auf Dockenbush Farm e r ledigen.
Es war ein angenehmer Ort zum Arbeiten, besonders im Mai. Oben im Haus befand sich ein Gästezimmer. Ich stel l te einen Tisch und einen Stuhl vors Fenster und auf den Tisch den nagelneuen Mac, den ich im Vorgriff auf das Geld der Versicherung erstanden hatte. Über die Wipfel der Apfelbäume hinweg blickte ich auf zwei Felder mit junger Gerste und einen bewaldeten Hügel dahinter. Es war idyllisch. Ich arbeitete den ganzen Tag, von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends, mit einer einstündigen Pause für das Mittagessen mit Kate und Oliver. Es gelang mir, mich ganz in Puschkins Welt zu versenken und meine eigene zu vergessen. Ricardo, Eduardo und Dekker Ward gab es zwar noch, aber sie schienen mit einem Mal sehr weit weg zu sein.
Lediglich Jamie, der den Geruch von Dekker Ward mitbrachte, wenn er abends nach Hause kam, erinnerte mich an diese Welt. Aber auch das verlor sich rasch. Er hatte keine Lust, über die Firma zu sprechen, genausowenig wie Kate oder ich. Seit dem Streit der beiden am Abend meiner Ankunft hatte sich die Stimmung im Haus erheblich verbessert. Die Abende waren heiter: Wir blieben lange auf, tranken und redeten. Es war fast wie Urlaub.
Ich rief das Polizeirevier in Kentish Town an, um zu hören, wie man mit den Ermittlungen in der Strafsache 1521634/E vorankam. Ich war nicht sonderlich überrascht zu hören, daß man noch im dunkeln tappte. Keiner der gestohlenen Gegenstände war wieder aufgetaucht. Man hatte Eduardo vernommen, der vehement bestritt, irgend etwa s m it dem Einbruch zu tun zu haben. Abgesehen von meiner Beschuldigung gab es nicht den geringsten Anhaltspunkt für eine Beteiligung von seiner Seite.
Ich dachte hin und wieder an Isabel, nicht ständig, und hatte deshalb ein schlechtes Gewissen. Dabei war mir klar, daß es so wahrscheinlich viel besser war. Wenn ich an sie dachte, empfand ich Angst, Schuld, Sorge, Ungewißheit, Wut. Uns waren nur wenige gemeinsame Tage vergönnt gewesen, und die hatten wir in einer sehr exotischen U m gebung erlebt. Ständig quälte ich mich mit der Frage, ob sich die Beziehung im Alltag bewährt hätte, und versuchte mir einzureden, daß dies der Fall gewesen sein würde. Und dann wurde ich zornig, daß ich keine Gelegenheit gehabt hatte, es herauszufinden.
Ich rief Luís an und fragte ihn, ob es Neuigkeiten gebe. Er freute sich, von mir zu hören. Er sagte, er habe einen Kontakt zwischen der KBN, einer großen holländischen Bank mit guten Beziehungen nach Brasilien, und Humberto Alves hergestellt, um die Finanzierung des Favela -Projekts doch noch zu ermöglichen. Es würde zwar ein paar Monate dauern, bis der Deal reif für den Abschluß wäre, aber Humberto sei sehr zuversichtlich. Ich freute mich, daß wir Ricardos Wut einen so guten Grund nac h reichen konnten.
»Nichts Neues von Isabel?« fragte ich.
Tiefes Schweigen. »Nein«, sagte er schließlich. »Nichts.«
»Hat die Polizei noch nichts gefunden?«
»Nein.« Er hielt inne. Ich wartete. »Wissen Sie, sie lebt. Man
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