Der Marktmacher
ausnutzen. Die werden versuchen, den Eindruck zu erwe ck en, daß sie üble Sadisten sind, die keinen besonderen Grund brauchen, um Ihre Tochter zu quälen. Das sind sie aber keineswegs. Meist gehen Entführer in Rio sehr rational vor. Alles, was sie wollen, ist ein Lösegeld. Meine Aufgabe besteht darin, Sie immer wieder daran zu eri n nern. Ich muß dafür sorgen, daß das Ganze als geschäftliche Transaktion abgewickelt wird und daß Isabel für möglichst wenig Geld unversehrt freikommt.«
Er beugte sich vor und legte Luís die Hand auf den Arm. Sein rundliches, orangenfarbenes Gesicht wirkte aufrichtig . » Bisher habe ich in sechzehn Fällen von Kidnapping beraten. Von zwei Fällen abgesehen, sind alle Opfer lebend freigekommen. Die Chancen stehen wirklich gut für uns.«
Luís runzelte die Stirn. »Das ist gut zu wissen. Aber wird man sie … Ich meine, werden sie …«
Nelson unterbrach ihn. »Wir wissen nicht, wie man sie behandelt. Das hängt einzig und allein von den Entführern ab. Aber man wird sie nicht anrühren. Nach meiner Erfa h rung geschieht das nie.«
Luís ’ Gesicht hellte sich ein wenig auf. An Vergewaltigung hatte ich, Gott sei Dank, noch gar nicht gedacht. Doch irgendwann hätte ich mich das bestimmt gefragt. Daher freute ich mich über Nelsons Worte.
»Sie müssen entscheiden, ob Sie die Polizei informiere n w ollen«, fuhr Nelson fort. »Ich rate Ihnen nachdrücklich dazu. Sie wird nicht eingreifen und sich aus den Lösegel d verhandlungen heraushalten. Wenn wir ihr gegenüber o f fen sind, steht nicht zu befürchten, daß sie uns in irgende i ne wichtige Aktion hineinplatzt.«
»Aber was ist, wenn die Entführer von uns verlangen, die Polizei rauszuhalten?«
»Das werden sie sehr wahrscheinlich tun, aber die Polizei wird nicht in Erscheinung treten. Allerdings sollten wir die Sache nach Möglichkeit vor der Presse geheimhalten. Je kleiner der Kreis der Eingeweihten, desto besser.«
»Wie groß ist der Wald?« fragte ich. »Glauben Sie, daß die Chance besteht, daß die Polizei sie findet?«
Nelson schüttelte den Kopf. »Das ist nicht anzunehmen. Sobald den Entführern klarwurde, daß Sie entkommen sind, haben sie ihre Zelte dort abgebrochen. Allerdings könnte die Polizei aus den Überresten des Lagers unter Umständen wichtige Schlüsse ziehen.«
Luís nickte. »Okay. Wir schalten die Polizei ein. Was passiert dann?«
»Wir warten, bis sich die Entführer mit uns in Verbindung setzen. Das kann schnell gehen oder ein paar Tage dauern.«
In diesem Augenblick kam Cordelia ins Zimmer gestürzt und warf sich in die Arme ihres Vaters. Sein großer Körper beugte sich über sie, als müßte er sie beschützen. Ich sah seinen Gesichtsausdruck. Er wirkte noch immer gefaßt. Aber die beiden hielten sich für lange Zeit eng u m schlungen.
Ich warf Nelson einen Blick zu, und wir verließen das Zimmer. Wir gelangten in ein kleineres Wohnzimmer mit einem Fernsehapparat.
»Bisher verkraftet er es gut«, meinte Nelson zu mir. »Das ist bei vielen dieser abgebrühten Geschäftsleute der Fall. Aber das hält nicht lange an. Nicht, wenn es um die eigene Tochter geht.«
»Das kann ich mir nur zu gut vorstellen.«
»Sind Sie ein guter Freund von Isabel?«
Die Frage wurde völlig unschuldig gestellt, doch der Blick, der sie begleitete, strafte den harmlosen Ton Lügen. Ich nickte und überließ Nelson die Schlußfolgerung.
»Ich bin ein Kollege von Isabel«, sagte ich. »Soweit ich weiß, hat unsere Firma eine Entführungsversicherung a b geschlossen.«
»Das ist strenggenommen in Brasilien illegal. Aber ich kenne einige Firmen in London, die auf diesem Gebiet tätig sind. Sagen Sie Ihrem Arbeitgeber, er soll seine Versicherung veranlassen, mit mir Verbindung aufzunehmen.«
»Okay«, sagte ich. Ich fand, daß wir viel Vertrauen in das Urteil dieses Mannes setzten. Aber Ricardo hatte gesagt, es gebe bestimmte Verfahrensregeln, und ich war froh, daß wir einen Mann an unserer Seite hatten, der sie kannte.
Eines brannte mir noch auf der Seele. »Bei meiner Flucht habe ich Isabel bei den Entführern zurückgelassen. Nun mache ich mir darüber schwere Vorwürfe. Ich finde, ich hätte bei ihr bleiben sollen, um ihr zu helfen.«
Nelson faßte mich am Arm.
»Die meisten Angehörigen und Freunde von Entführungsopfern reagieren mit Schuldgefühlen. Sie fühlen sich schuldig, weil sie glauben, sie hätten irgend etwas tun mü s sen, um dem geliebten Menschen dieses Schicksal zu e r sparen. Das
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