Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief
Glück oder zum Unglück bin ich niemandem ähnlich. Ich habe nichts oder nur sehr wenig mit meinesgleichen gemein. Glauben Sie zum Beispiel, daß es viele Menschen gibt, die imstande wären, Briefe wie diesen zu schreiben? Sie machen große Augen, Bautista. Sie verstehen mich nicht. Sie können Ihre Verwirrung nicht verbergen. Sie werden sich fragen, weshalb ich mir die Mühe mache, einen Brief zu versenden, der so geschickt abgefaßt ist, daß sein Empfänger ihn nicht lesen kann. Weshalb sich das Leben komplizieren, werden Sie sich sagen. Wäre es nicht einfacher gewesen, sich den Brief zu ersparen und die Dinge weiterlaufen zu lassen wie bisher? Nein, Bautista, es wäre nicht einfacher gewesen. So wie die Dinge liegen, müßten Sie das eigentlich wissen. Ich bin ein Mensch, der, trotz allem, das dringende Bedürfnis hat, sich den anderen mitzuteilen. Ich habe zu lange in Schweigen verharrt, und mit diesem neuen Frühling ist nun wieder der Wunsch in mir erwacht, Briefe zu schreiben und geeignete Empfänger zu finden. Das ist nicht gerade originell, ich gebe es zu, haben doch viele zu Schweigen und Einsamkeit verurteilte Menschen ihre Lage besser ertragen können, indem sie Briefe schrieben. Doch Vorsicht, das Problem stellt sich, wenn wir mit gezückter Feder vor einem weißen Blatt Papier sitzen. Mein Gott, was für beklemmende Augenblicke! Wie soll man völlig lesbare Briefe schreiben, wenn die Gefahr besteht, daß der Empfänger unsere Gedanken nicht teilt? Schlimmer noch: wie können wir einen Brief schreiben, wenn wir nicht wissen, was wir sagen sollen, oder wenn es nichts zu sagen gibt? Welche Formeln sollen wir zu Hilfe nehmen, wenn wir unsere Seele ausdrücken wollen und dabei feststellen müssen, daß uns nicht ein einziger Tropfen Glück mehr bleibt, den wir den anderen zukommen lassen könnten? Das ist ein schwerwiegendes Problem, mein Freund, denn trotz allem können wir uns nicht dem Schweigen ergeben. Wenn Sie diesen Imperativ gelten lassen, erscheint es Ihnen dann nicht logisch, daß ich versucht habe, meine Bitterkeit mit dunklen Hinweisen auf die Gefahren der Gefräßigkeit, des Kaffees oder des Tabaks zu verbergen, in der Hoffnung, daß irgend jemand später einmal versuchen wird, unsere Hieroglyphen zu entziffern? Dies und nichts anderes ist der Grund dieses Briefes, Freund Bautista. Zu wissen, daß an diesem Abend jemand an mich denken wird. Können Sie mich jetzt besser verstehen? Sie sind immer noch verwirrt? Nun, dann denken wir nicht weiter darüber nach und übergeben dem Herrn Grafen meinen Brief. Tun wir es indes in der geheimen Hoffnung, er möge nicht ein einziges Wort von dem verstehen, was ich ihm schreibe. Ich selbst gestehe mir den Vorteil der Dunkelheit zu. Nachts sind alle Katzen grau. Oder, wie man sagt: Dem Weizen sieht man es nicht an, was aus ihm mal werden soll. Schließlich befinden wir uns mitten in der Zivilisation des Betruges, der geschickten Verkaufsstrategien. Nehmen Sie nur einmal die Mehrheit der heutigen Maler. Ausgehalten von der Konsumgesellschaft.
Sie tun nichts anderes, als ihre Mittelmäßigkeit zu komplizieren und schönzufärben. Komplizieren also auch wir unsere Mittelmäßigkeit, und vertrauen wir darauf, daß Don Demetrio sie nicht entziffern kann. Jubeln wir jedoch nicht zu früh. Sie wissen ja, der Mensch denkt, Gott lenkt. Wünschen heißt soviel wie fürchten. Ich vertraue darauf, daß Don Demetrio den Brief nicht versteht, aber es bleibt noch ein Risiko, das man nicht unterschätzen darf. Der Herr Graf ist, trotz seines Uradels, kein sehr intelligenter Mann. In unserer Schulzeit buchstabierte er mühsam das Lesebuch, das wir übrigen Schulkameraden wie im Schlaf lasen. Später gelang ihm, trotz seiner mächtigen Beziehungen, nicht einmal der Zugang zur Universität. Und ich glaube nicht, daß er das Versäumte in all diesen Jahren aufgeholt hat, denn sein Problem war nicht mangelnder Wille, sondern angeborene geistige Beschränktheit. Man kann also nicht ausschließen, daß er sein Fiasko beim Lesen des Briefes nicht meiner Handschrift zuschreibt, sondern seinen geringen Geistesgaben. Und ich kenne ihn gut genug, um Ihnen schon jetzt sagen zu können, daß er sich niemals bequemen wird, seine Unwissenheit zuzugeben. Don Demetrio war immer äußerst hochmütig. So hochmütig wie jener Käfer, der, als man sich anschickte, das Pferd des Paschas zu beschlagen, die Gelegenheit ergriff und sein Füßchen ausstreckte. Wie mag also dann, in Anbetracht
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