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Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Titel: Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Tomeo
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dieser Facette seiner Persönlichkeit, seine Reaktion auf mein Kauderwelsch sein? Halten Sie sich gut fest, Bautista, denn was ich Ihnen jetzt sagen werde, ist zu drollig: es ist möglich, daß der Herr Graf eine herablassende Miene aufsetzt, den Brief in die Tasche steckt, sich Ihnen zuwendet und sagt, daß er meiner Einladung zur Fasanenjagd mit Freuden Folge leistet. Er wird alles auf eine Karte setzen, um der Demütigung ein Ende zu machen, die darin liegt, einen Brief zu erhalten, den man nicht zu lesen imstande ist. Wenn es tatsächlich soweit kommt, dann enthalten Sie sich jedes Kommentars. Lassen Sie sich nicht einfallen, ihn durch ein argwöhnisches Lächeln zu demütigen. Beschränken Sie sich auf eine kurze, zustimmende Kopfbewegung. Behalten Sie jedoch im Gedächtnis, daß die Sache mit der Fasanenjagd völlig falsch ist. Lassen Sie sich nicht von ihm täuschen. Denken Sie stets daran, daß ich mich in meinem Brief darauf beschränkt habe, eine Reihe von Wörtern ohne allzu großen Sinn aneinanderzufügen. Als ich ihn schrieb, ging es mir einzig darum – und darum geht es mir noch immer –, daß der Herr Graf ihn noch heute abend erhält und vom ersten Augenblick an weiß, daß kein anderer als ich ihn geschickt hat. Beachten Sie den Absender. Mein Name ist in aller Deutlichkeit zu lesen. Sehen Sie? Er ist mit Druckbuchstaben geschrieben, ein Kleinkind könnte ihn lesen. Dem Herrn Grafen wird nicht der geringste Zweifel über die Identität des Absenders bleiben. Ein alter Freund, ein Schulkamerad und später ein Kumpan bei den fröhlichen Saufgelagen der Jugendzeit, wenn ich Ihnen auch, um aufrichtig zu sein, sagen muß, daß Don Demetrio sich nicht gerade durch seinen Sinn für Vergnügungen auszeichnete. Obendrein waren wir Waffengefährten im Husarenregiment des Erzherzogs. Das ist kein Pappenstiel, drei Jahre lang alle Mißhelligkeiten des Kasernenlebens miteinander zu teilen. Er wird sich sehr gut an mich erinnern, da bin ich sicher. Erinnern Sie sich etwa nicht an Ihre Militärkameraden, Bautista? Wo haben Sie gedient? Bei der Infanterie? Bei der Artillerie? Oder vielleicht im Pionierkorps? Sie erinnern sich nicht? Oh Bautista, ich verdiene, daß man mir die Ohren langzieht! Sie hinken ja! Ich hatte vergessen, daß Ihr eines Bein länger als das andere ist! Gewiß hat man Sie für völlig untauglich erklärt! Na, na, machen Sie nicht so ein Gesicht, Sie brauchen sich nicht zu schämen, daß Sie hinken! Soll ich Ihnen jetzt sofort eine Liste von berühmten Hinkefüßen hersagen? Kopf hoch, mein Freund, ich versichere Ihnen, daß nicht jeder sich rühmen kann, so anmutig zu hinken wie Sie. Ihnen beim Gehen zuzusehen, ist eine wahre Wonne. So daß ich mich oftmals frage, ob Sie nicht einzig und allein für den Frieden und für die Liebe auf die Welt gekommen sind. Ich sage Ihnen das, weil ich aus sicherer Quelle weiß, daß etliche Damen hier in der Gegend einiges darum gäben, auf Ihre Dienste zählen zu können. Alle diese Damen beneiden mich, ich weiß das sehr gut. Ich habe so manchen anonymen Brief in diesem Sinne erhalten. Darunter auch den einer Herzogin. Sie werden sich fragen: »Wie kann der Herr Marquis wissen, daß es sich gerade um eine Herzogin handelt?« Und Sie hätten guten Grund, mir diese Frage zu stellen, werden doch anonyme Briefe weder mit einer Unterschrift verschickt noch mit einer Herzogskrone. Und doch weiß ich genau, daß hinter einem dieser anonymen Schreiben das leidenschaftliche Herz einer immer noch recht ansehnlichen Herzogin schlägt. Noch heute, nach so vielen Jahren der Enthaltsamkeit, bin ich imstande, die Herkunft einer Dame an dem Hauch Parfüm zu erkennen, den sie in ihren Briefen hinterläßt. Sie sehen also, wie die Dinge liegen, Bautista. Ich bin sicher: würden Sie nicht hinken, keine dieser Damen brächte Ihrer Person das geringste Interesse entgegen. Ihr Hinken aber – ich sage Ihnen das in aller Offenheit, damit Sie Ihre Komplexe über Bord werfen – ist ein aufreizendes Hinken, das Ihren Hintern in eine eigenartige, kreisende Bewegung versetzt. Wenn Sie gehen, Bautista, ist es, als riefen Sie dabei aus: »Hier bin ich, meine Damen, denn schließlich und endlich dauert das Leben nicht ewig!« Und Sie wissen ja, wie die Mehrzahl der heutigen Frauen ist, mein Freund. Weshalb sich da etwas vormachen. Ich lebe zwar außerhalb der Welt, aber ich halte mich auf dem laufenden über das, was draußen geschieht. Nie haben sie so wie heute um ihre Rechte

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