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Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Titel: Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Tomeo
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verlieren Sie nicht die Contenance. »Es bedeutet«, so sagen Sie ihm, »daß das kontemplative Leben heute genauso aktuell ist wie gestern. Die Welt, Herr Graf, bedarf auch weiterhin der verborgenen, stummen Gegenwart der Kontemplativen.« Schließlich wird Don Demetrio seine Stirn glätten und plötzlich auflachen. »Kein Zweifel«, wird er sagen, »Sie sind ein vorbildlicher Diener. Ihre Treue ist vollkommen. Sie haben diese ganze hochtrabende Rede von sich gegeben, um das Verhalten Ihres Herrn zu rechtfertigen, der sich vor zwanzig Jahren seinen Pflichten entzogen und in sein Schloß eingesperrt hat, während wir mit unseren Rufen nach Gerechtigkeit allenthalben unser Ansehen aufs Spiel setzten. Es nützt jedoch nichts, daß der Herr Marquis versucht, mich zu täuschen. Mich täuscht niemand. Ich weiß genau, daß das Leben Ihres Herrn in all dieser Zeit mitnichten so kontemplativ war, wie er uns glauben machen will. Das soll er einem anderen erzählen. Ich gebe zu, daß er seit zwanzig Jahren darauf verzichtet, sein Schloß zu verlassen, aber sagen Sie mir ehrlich, Herr Soundso, denn Sie sind sein Diener, und Diener pflegen immer ihre Hände mit im Spiel zu haben: Vermochte der Herr Marquis während dieser ganzen Zeit auch auf eine bestimmte Art von Besuchen zu verzichten? Natürlich nicht, guter Mann, ich habe da meine Informationen: der Herr Marquis hat sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit als recht aktiv erwiesen. Kurz, seit mehr als einem Jahr hat Ihr Herr an allen Wochenenden jene Maxime La Rochefoucaulds bekräftigt, nach der die Liebe, wie das Feuer, erlischt, wenn sie nicht beständig geschürt wird. Und er hat geschürt! Nach Kräften! Oder glauben Sie, daß ein Mann, der sich auf sein Mannsein etwas einbildet, in Gesellschaft der Baronin von O. passiv bleiben kann? Nichts mit kontemplativem Leben also, nichts mit verwirrten und beunruhigten Seelen, wie Sie sagen. Ihr Herr ist ein Schelm, vor dem man sich in acht nehmen muß.« Passen Sie auf, Bautista, aus welcher Richtung die Schüsse jetzt kommen können. Verlieren Sie jedoch nicht die Fassung. Wenn der Herr Graf damit herausrückt – und das ist sehr gut möglich –, dann beschränken Sie sich auf ein verwirrtes Lächeln. Tun Sie, als seien Sie ob der Entdeckung meiner Liebeleien etwas beschämt. Verharren Sie zunächst einmal in Schweigen, und widersprechen Sie ihm nicht. Versuchen Sie auch nicht, meine Schelmenstücke zu rechtfertigen oder die Tatsachen zu leugnen, denn wir würden dabei den Kürzeren ziehen. Der Herr Graf verfügt wohl immer noch über sein eigenes Netz von Spähern und hält möglicherweise mehr als einen Beweis für meinen Zeitvertreib mit der Frau Baronin in Händen. Womöglich weiß er sogar, daß ihr kürzlicher Abort einiges mit einer unserer letzten heimlichen Begegnungen zu tun hatte. Diese stillschweigende Anerkennung der Tatsachen, die Sie mit Ihrer Haltung ausdrücken, darf indes nicht allzu lange dauern. Nach kürzester Zeit müssen Sie die Miene eines Mannes aufsetzen, der in den Anschuldigungen, deren Zielscheibe er ist, zwar einen wahren Kern gelten läßt, die Dinge aber doch richtigzustellen wünscht. Es sollen keine Mißverständnisse entstehen. Heben Sie also den Blick vom Boden, tilgen Sie jegliche Schamröte aus Ihrem Gesicht, und versuchen Sie, Don Demetrio begreiflich zu machen, daß meine heimlichen Stelldicheins mit der Frau Baronin meine Einsamkeit nicht einen einzigen Augenblick zu lindern vermochten. Im Gegenteil, sie verschlimmerten sie noch. Und ich sage das nicht nur so, Bautista. Sie kennen Dona Brigida. Glauben Sie, daß ein Mann wie ich sich mit einer solchen Frau wirklich in Gesellschaft fühlen kann? Ich versichere Ihnen, das einzige, was sie mir geben konnte – und auch das nicht immer –, war ein Anflug von Vergnügen. Nicht mehr. War dieser Augenblick vorbei, war meine Traurigkeit größer denn je. Stets kehrte die Einsamkeit wie ein Vogel mit ausgebreiteten Schwingen zu mir zurück. Ja, zu Ihrer endgültigen Überzeugung werde ich Ihnen sagen, daß ich schließlich sogar einen krankhaften Nachgeschmack von Enttäuschung empfand, jedes Mal wenn sie, nach dem flüchtigen Rausch, durch die Nase schnaubte und mir den Rücken zuwandte. Dann nützte es nichts, wenn ich, in einer verzweifelten Anstrengung sie zurückzugewinnen, ihr vom Klang ferner Geigen sprach. Sie sehen also, Freund Bautista, welche Wege meine Beziehungen mit der Baronin gingen. Sie wissen, daß ich nicht schlecht von

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