Der Marschenmörder
Räubern fahnden“, seufzt Jacobsen. Und Rötger klopft mit den Fingern auf den Tisch: „Und den Bengel im Auge behalten. Sie kennen doch Wöhlers, den Itzehoer Gendarm. Bei dem quartieren wir ihn ein.“
Mit wahrem Feuereifer stürzen sich Rötger und Jacobsen in die Arbeit. Justizämter, Land- und Kirchspielsvogteien, Gendarmarien und Zollämter werden in die Fahndung nach den Mördern einbezogen. So geht an die Süderdithmarscher Landvogtei in Meldorf die Order der achtsamen Vigilierung alles verdächtigen Gesindels und Festnahme bei leisestem Verdacht. Sie wird von dort weitergegeben an die Kirchspielvogteien Albersdorf, Nordhastedt, Hemmingstedt, Wöhrden, Brunsbüttel, Eddelak, Burg, Südermeldorf, Nordermeldorf, Barlt und Marne.
Schwere Zeiten brechen an für Landstreicher, Wanderarbeiter, Vorbestrafte und fahrendes Volk. Der Schock, der die Menschen weit über die Wilstermarsch hinaus tagelang gelähmt hat, ist einer nervösen Ratlosigkeit gewichen. Angst und Misstrauen breiten sich aus. Die Flut voreiliger Verdächtigungen und gehässiger Denunziationen steigt sprunghaft an nach dem Erscheinen einer Zeitungsanzeige:
1000 Mark Belohnung werden mit Genehmigung des Schleswig-Holsteinischen Polizeipräsidii Demjenigen zugesichert, welcher die Urheber des vom 7. auf den 8. August d. Mts. verübten Raubmordes nebst Brandstiftung in Groß Campen dergestalt angeben kann, daß man ihrer habhaft werden kann.
Itzehoe, den 14. August 1866
F. Rötger
Mehr als 200 angeblich Verdächtige geraten in den nächsten Monaten zwischen die Mahlräder der Justiz, werden tage- und wochenlang inhaftiert und sind harten Vernehmungen ausgesetzt.
Der Schlachter Max Nagel aus Grunde ist, obwohl vorher in dürftigen Verhältnissen lebend, plötzlich zu Geld gekommen und prahlt überall herum, nach Australien auswandern und dort eine Farm erwerben zu wollen. Eine anonyme Anzeige reicht, ihn in strenge Haft zu nehmen.
Aus Friedrichstadt meldet die Witwe Winkelmann, ihr Untermieter Hans Schröder Wunderlich sei in der betreffenden Nacht fortgeblieben und morgens mit einem blutenden Daumen aufgetaucht. Festnahme und gründliches Verhör.
Die zum Teil in Hysterie ausartende Hilfsbereitschaft der Bevölkerung bei der Suche nach den Mordbuben von Groß Campen bekommt Carl Johann Stielow, Sohn eines Müllers aus Grabow, besonders hart zu spüren. Auf der Reise nach Dänemark spendiert er in einer Schenke für Fahrensleute Runde um Runde und verrät den Saufkumpanen, er sei unverhofft durch eine Sache, über die er nicht reden möchte, zu allerlei Talern gekommen. Da fällt das Stichwort Groß Campen.
Der Arme wird bedrängt, bis auf die Straße verfolgt und flüchtet in die Polizeistation Bad Oldesloe, wo er um Schutzhaft bittet. Dort sieht man am nächsten Morgen keinen Anlass, den augenscheinlich etwas schwachköpfigen und sich mit albernen Vorstellungen plagenden Mann die Fortsetzung seiner Reise nach Lübeck zu verbieten. Doch vor dem Gebäude sammelt sich eine gewaltbereite, mit Steinen bewaffnete Meute.
Der Verfolgte wird in einer geschlossenen Kutsche in die Hansestadt gebracht. Den Beamten im dortigen Justizamt fällt sein ängstliches Benehmen auf. Und sie erfahren durch telegraphische Anfrage beim Vereinigten Stadt- und Magistratsgericht in Grabow, es handele sich um einen verwegenen, gewalttätigen Müllerssohn aus Karrenzin, einen Schlemmer und Verschwender, der sein ererbtes Gehöft durchgebracht und als Müllergeselle vagabundiert habe. Grund genug, den Mann, der ausgerechnet für die Zeit von Anfang bis Mitte August keinen festen Aufenthalt nachweisen kann, festzusetzen und tagelang ins Verhör zu nehmen. Bis sich durch mühselig ermittelte Zeugen seine Unschuld herausstellt und er, nach Bezahlung der Unterbringungskosten, von dannen ziehen darf.
17
Zunehmend unbehaglich fühlt sich Timm im Hause Schwarzkopf, obgleich ihm hier jeder Wunsch von den Lippen abgelesen wird. Hanne fragt täglich nach seinen Leibgerichten. Jakob, sein väterlicher Freund, nimmt mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit die umständliche und zeitraubende Verwaltung des Nachlasses wahr. Nachbarn versuchen mit oberflächlicher Konversation das Geschehen auszuklammern. Und finden rasch einen Vorwand, sich zu verabschieden.
Onkel Reimer kommt täglich aus Beidenfleth herüber, schaut nach Timms Befinden und sitzt, unbehaglich die Hände reibend, dem Neffen gegenüber. Es macht ihm Gewissensbisse, dass er sich mit seinem Bruder Johann
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