Der Maskensammler - Roman
unfreiwilligen Samenerguss des Bhatara Guru entstanden war und deren menschenfresserische Gier durch die Beschwörung eines Dukun, eines Priesters, besänftigt werden musste.
Antje zeichnete, während sie sprach, mit ihren Zeigefingern rhythmisch Kreise und Spiralen auf das Blau des Himmels. Bernhard sah und hörte ihr zu, bewunderte ihre Kenntnisse und den Ernst, mit dem sie sie vortrug, und meinte, nie etwas Spannenderes gehört zu haben.
***
Das Haus der Dukun war leicht zu finden. Es war mit Schilfrohr gedeckt und hatte, über drei Stufen zu erreichen, einen hölzernen Vorbau, eine Veranda, auf der umgeben von einigen niedrigen Hockern ein Stuhl mit geschnitzter Rückenlehne stand. Rechts und links an die Stützsäulen gelehnt, lagen Gebinde künstlicher Blumen,bescheidene Opfergaben, mit denen Ratsuchende die um die Dukun versammelten Geister gnädig stimmen wollten.
Antje und Bernhard zogen ihre Schuhe aus und setzten sich nebeneinander wie zwei Schulkinder. «Das Haus einer Dukun betritt man nicht, ohne dazu aufgefordert zu werden. Man ruft sie auch nicht, sie kommt, wenn es an der Zeit ist», sagte Antje. Und als sie Bernhards fragenden Blick sah: «Was eine Dukun ist, werden Sie gleich erleben. Eine Dukun ist Priesterin, Wahrsagerin, Geisterbeschwörerin, Heilpraktikerin, von allem etwas. In keiner europäischen Sprache gibt es einen brauchbaren Begriff, mit dem man Dukun übersetzen könnte.» Kurz darauf erschien sie. Kein Händeschütteln, keine Begrüßungsformel, kein prüfender Blick. Sie nahm auf ihrem Stuhl Platz und gab durch einen Wink zu verstehen, dass ihre Besucher sich nicht nebeneinander, sondern rechts und links vor sie setzen sollten. Dann schloss sie die Augen, atmete tief ein und ließ einen anhaltenden Summton hören. Bernhard hielt den Blick auf einen Punkt zwischen den Augen der Frau gerichtet, seine Arme und Beine wurden schwerer, und er meinte zu spüren, wie das Blut in seinen Adern zirkulierte. Da riss mit einer jähen Bewegung die Dukun den Arm hoch und schwenkte die Hand hin und her, als wolle sie eine lästige Fliege verscheuchen. Dazu stieß sie tief aus der Brust mehrmals Worte hervor, die wie Durung Jawa klangen und später von Antje mit «sich noch nicht wie ein echter Javaner benehmen können» übersetzt wurden.
Die Dukun war barfuß, ihre Zehen waren weit gespreizt, «wie Saugnäpfe», dachte Bernhard, hafteten sie auf dem Boden. Über einem Sarong trug sie ein mit Blattornamenten geschmücktes Gewand, um den Hals ein breites Band, das sich über ihrer Brust zu den Hüften hin kreuzte. Eine Haube aus dem Stoff ihres Gewandes bedeckte den glatt rasierten Schädel. Die Dukun war alterslos. Sie hatte keinen Heiligenschein, war nicht umgeben von einer fluoreszierendenAura, aber als sie die Augen öffnete, glättete sich ihr Gesicht, und ein Leuchten ging von ihr aus.
Zuerst wandte sie sich Antje zu. Sie berührte sie am Arm und versetzte ihr einen leichten Stoß: «Deine Mutter nennt dich Becik. Du bist Becik. Schön bist du und gut, aber ich sehe, dass du rot bist vor Hawa Nepsu. Wenn du ein rechtes Leben führen willst, musst du deine Leidenschaften unter Kontrolle bringen. Wenn du diesen Mann liebst, liebe ihn, aber vergeude nicht deine innere Kraft. Du wirst sie bald brauchen.» – «Wozu?», wollte Antje wissen. Aber die Dukun schüttelte den Kopf. – «Nrima, nimm an, was auf dich zukommt. Nimmt man das Leben leicht, so ist es leicht, nimmt man es schwer, so ist es schwer.» Angespannt war Antje an die äußerste Kante des Schemels gerückt, den Oberkörper nach vorne gebeugt. Die Dukun sah sie an, und es erschien die Andeutung eines Lächelns auf ihrem Gesicht: «Du bist eine rote Frau. Dein heutiger Name ist Candra Kirana, die rote Prinzessin. Wenn du noch eine Frage hast, dann schreib sie auf. Die Geister deiner Ahnen kennen dich, vielleicht wissen sie eine Antwort.» Dann sank sie erschöpft zurück und schloss wieder die Augen.
Bernhard meinte, den Duft von Heu zu riechen. Er sah aus einer von Bergen eingerahmten Wiese das Fuhrwerk auf sich zukommen, hörte das Schnauben der Pferde, und da war sie, wunderschön, sie winkte ihm zu, schwenkte ein Taschentuch und fuhr an ihm vorüber.
«Ibu!» Mutter! Die Dukun war aufgestanden und griff ihm in die Haare. Sie suchte eine Strähne, drehte sie zwischen den Fingerspitzen und zog an ihr, als wolle sie prüfen, ob sie wirklich festgewachsen war. Durch den schwachen Schmerz erwachte Bernhard aus einer
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