Der Maskensammler - Roman
Jetzt lachte auch er, kurz und erleichtert. Becik, die Schöne, die mit ihren Fingerkuppen über seinen Handrücken strich und von der alle Wärme im Haus auszugehen schien, sie hatte ihn umarmt und in sich gehalten, als für ihn eine neue Zeitrechnung begann.
Der Doktor erhob seine Tasse. «Wir sind uns auf dem Schiff begegnet, haben die Tage in einer üblen Kaschemme gemeinsam überstanden und treffen uns nun hier unerwartet. Es wird Zeit, dass wir das ‹Sie› von Menschen aufgeben, bei denen es für eine Freundschaft nicht reicht. Ich will dein Freund sein, sei du der meine, soweit es dir möglich ist. Darauf wollen wir anstoßen! Bessermit Tee als mit gar nichts. Nenn mich Ulrich!» – «Und du nenn mich Klana! So heiße ich seit gestern.»
***
An einem der nächsten Tage erhielt Dr. Holzer die Nachricht, daß die Reparatur ausgeführt wäre, die «Sindaro» müsse nur noch beladen werden, Ende November würde sie die Anker lichten, er solle sich bereithalten. – «Was hast du vor?», fragte Klana. – «Ich bin Schiffsarzt auf der ‹Sindaro›. Ich habe einen Arbeitsvertrag unterschrieben, und den werde ich einhalten.» – «Aber du begibst dich in Gefahr. In Europa ist Krieg, die Folgen sind unabsehbar. Auf keinen Fall kannst du nach Deutschland zurück.» – «Deutschland? Ich bin Bayer. Und in Bayern gehen die Uhren anders. Ich will in München noch mal im Café Luitpold sitzen oder im Hofgarten die Spatzen füttern. Wenn nötig, mit angeklebtem Bart oder Perücke.» – «Mach keine Scherze! Bleib hier! Hier bist du in Sicherheit. Warte, bis der Nazi-Spuk vorbei ist. England und Frankreich werden diesem Hitler ein schnelles Ende bereiten.» Es entstand eine ungemütliche Pause. Schließlich sagte Ulrich: «Nein, ich kann nicht bleiben. Ich habe mich verpflichtet …» – «Ach was! Ich habe gehört, die Schiffe nach Nord- und Südamerika sind voller Emigranten. Wer kann, flüchtet. Zurück nach Europa will niemand. An Bord der ‹Sindaro› wird kein einziger Passagier sein, dem du den Puls messen oder Pillen gegen Seekrankheit verschreiben könntest.» – So hatte er noch nie gesprochen. Er musste an Wilhelm Roth denken und hörte, wie der sagte: «Meine Papiere sind in Ordnung.» Er sah den Mann in schwarzer Uniform mit gespreizten Beinen in der Tür des Abteils stehen: «Sie kommen mit!»
Sie saßen in ihrem Stammcafé, der Wortwechsel war mit jedem Satz heftiger geworden, die Gäste an den Nebentischen sahen sich nach ihnen um. Klana spürte eine Angst, die sich mit Tee nichtrunterspülen ließ. Da saß Ulrich, er war sein Freund geworden, er hatte eine Saite in ihm zum Schwingen gebracht, von der er nicht gewusst hatte, dass sie existierte. Zu ihm hatte er ein Vertrauen gefasst, das er zu seinem Vater nie hatte haben können. Die Gedanken an das Haus an den Ausläufern des Hunsrück hatte er verdrängt, weit weggerückt war der Tag, an dem er von Bankdirektor Stadelheim den Scheck entgegengenommen hatte, der ihm die Freiheit garantierte. Jetzt war er frei ohne eine Vorstellung, wie seine Zukunft aussehen könnte, frei unter freundlichen, fremden Menschen, mit denen er sich nicht verständigen konnte. Er konnte Ulrich nicht ziehen lassen, ohne ihn blieb ihm nur Candra. Er sehnte sich nach ihr, er zählte die Stunden, bis er wieder bei ihr liegen würde. Sie bestimmte, welchen Abend und welche Nacht sie zusammen verbrachten, er überließ sich ihr blind. Es war die süße Krankheit der Hingabe, aber nur Ulrich konnte ihm Halt geben, nur er konnte verhindern, dass er sich in dieser Krankheit verlor.
«Bleib bei mir, ich brauche dich!» Ein Aufschrei lag Klana auf der Zunge, aber Ulrich kam ihm zuvor: «Ich finde, du übertreibst. Mit einem Spaziergang durch den Englischen Garten muss ich tatsächlich noch etwas warten. Aber ich gehe in Rotterdam an Land. Holland ist strikt neutral. Königin Wilhelmina und Leopold III. von Belgien haben einen gemeinsamen Friedensappell an alle am Krieg Beteiligten gerichtet. Man wird vielleicht nicht auf sie hören, aber auch die Deutschen werden die Neutralität der Niederlande respektieren. Außerdem will ich nicht lange bleiben. Ich werde wieder anheuern, vielleicht auf der ‹Sindaro›, vielleicht auf einem anderen Schiff. New York oder Buenos Aires, auf die Weise lerne ich die Welt kennen.» – Bernhard sollte mit seinen Befürchtungen recht behalten: Wenige Monate später fielen deutsche Truppen in Holland ein.
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Ulrichs letzten Abend vor der
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