Der Maskensammler - Roman
nur teilnahmslos in der letzten Reihe oder aber er meldete sich mit Bemerkungen zu Wort, die ihm den Ruf eines Besserwissers eintrugen. Er las und las, machte sich Notizen, die Blöcke füllten, schrieb in gesonderte Kladden Bemerkungen und Kommentare und hätte sich auf das Leben eines Privatgelehrten eingerichtet, wären da nicht die Appelle seines Vaters gewesen, die sich immer häufiger von Vorhaltungen zu Drohungen steigerten.
Herr von Riederer erklärte sich das endlos sich hinziehende Studium seines Sohnes nicht mit Wissensdrang, sondern mit Bequemlichkeit und einer Unfähigkeit, die Verantwortung für seine Zukunft selbst zu übernehmen. Bernhard zeigte keinerlei beruflichen Ehrgeiz, das machte Egon von Riederer Sorgen, es machte ihn wütend und traurig.
***
Während die anderen Passagiere sich an der Reling drängten, um das Ablegen des Schiffes, den Moment des Aufbruchs nicht zu verpassenund ihre Taschentücher schwenkten, als sei dies Vorschrift, um anschließend auf Einladung des Kapitäns zu einem Umtrunk in den Salon auf Mitteldeck zu gehen, saß Bernhard Riederer in seiner Kabine auf der Bettkante und las den Schiffsprospekt. Der Boden vibrierte leicht unter seinen Füßen wie eine belebende Massage. Die strikte Ordnung der Kabine, in der er die nächsten Wochen zubringen würde, beruhigte ihn, er fühlte sich in dem engen Raum geborgen. Auf der ersten Seite eines mit einer römischen Eins beschrifteten Tagebuches notierte er genau den Zeitpunkt, an dem die «Sindaro» die Anker gelichtet hatte, das Baujahr des Schiffes, seine Länge, die Bruttoregistertonnen, die PS-Zahl der Dieselmotoren, den Namen der Reederei, aber auch die Nummer seiner Kabine und das Wort «Erleichterung».
Bernhard wollte gerade beginnen, seine Koffer auszupacken, als es an die Tür klopfte. Ein Steward bat ihn, ihn zu Herrn Dr. Holzer, dem Schiffsarzt, zu begleiten. Sofort änderte sich seine Stimmung, die entspannte Leichtigkeit verflog, er nahm Haltung an und griff nach der Tasche mit dem Impfpass. «Ich bin gesund, es ist alles in Ordnung», wollte er sagen und dachte in dem engen Gang, durch den der Steward ihn führte, an Wilhelm Roth.
Dr. Holzer erwartete ihn hinter seinem Schreibtisch stehend und mit der linken Hand auf ein Buch über Tropenkrankheiten gestützt. Bernhard hielt ihm seine Papiere hin, aber der Arzt winkte lachend ab. «Nein, nein! – Ich habe Ihren Namen auf der Passagierliste entdeckt, da wollte ich Sie wenigstens kurz begrüßen. Sie sind der Sohn von Egon von Riederer?» Und ohne die Antwort abzuwarten, zwinkerte er, als hätte er eine gute Nachricht für seinen Besuch: «Ich bin mit Ihrem Herrn Vater seit langen Jahren befreundet. Wir haben ein gemeinsames Hobby, die Jagd.»
Bernhard zog die Schultern hoch, als müsse er gleich einen Angriff abwehren. Der Vater! «Was ist mit Ihnen?», fragte Dr. Holzer. «Werden Sie leicht seekrank? Bitte setzen Sie sich! Hier ist ein GlasWasser.» Er rückte seine Brille zurecht und öffnete einen Arzneischrank. Bernhard hob abwehrend die Hand, schluckte, um Zeit zu gewinnen, wollte sagen: «Einen Egon von Riederer kenne ich nicht», stieß aber dann hervor: «Ich will nicht … Mein Vater darf nicht erfahren, dass ich diese Reise mache.»
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Die «Sindaro» war ein Postschiff älterer Bauart, das im vorderen Teil Kabinen der ersten, hauptsächlich aber der zweiten Klasse hatte. Den Passagieren standen ein Speiseraum, ein Aufenthaltsraum, der «Salon», ein Sonnendeck und zwei Stewards zur Verfügung. Als das Schiff durch die Straße von Gibraltar fuhr, ließ der Kapitän Sekt ausschenken, in Marseille stiegen weitere Passagiere zu, die anschließende Fahrt entlang der nordafrikanischen Küste zog sich in die Länge, bei der Durchquerung des Suez-Kanals kam noch einmal Hochstimmung auf, dann aber stiegen die Temperaturen über dreißig Grad Celsius, an den Ufern des Roten Meeres waren gelegentlich ein paar Palmen und im Golf von Aden nur öder Sandstrand zu sehen. Es gab keine ernsthaften Zwischenfälle, die das tägliche Einerlei unterbrochen hätten, nur Gereiztheiten ohne große Bedeutung: So behauptete der «Amerikaner», ihm wäre seine Brieftasche gestohlen worden, ein Steward half ihm bei der Suche, die Brieftasche fand sich in seiner Kabine unter der Matratze. Ein anderer Fahrgast, der bereits durch schlechte Tischmanieren aufgefallen war, setzte das Gerücht in Umlauf, an Bord gäbe es Homosexuelle, er könne das riechen. Er fand mit seinem Gerede
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